Die Capitana - Roman
Menschheit bis zu der Bluse im Sonderangebot, zu deren Kauf sie mir in Paris, kurz vor meiner Abreise nach Spanien, riet. Wir unterhielten uns über Bücher, Geschichte, Liebe, Malerei, Blumen, unsere kleinen »Macken«, wie wir unsere Gefühlskrisen nannten, die uns hin und wieder überkamen und die unsere vertraulichen Gespräche zu überwinden halfen, den Deutschunterricht, den sie mir gab, den Spanischunterricht, den ich ihr erteilte.
Katja spielte in unserer kleinen Gruppe eine wichtige Rolle, sie hatte eine beruhigende Wirkung auf uns, wenn uns wieder einmal die Verzweiflung darüber packte, dass wir die Ereignisse, die wie eine Lawine über uns hereinbrachen, nicht aufhalten, ja nicht einmal ihre Entwicklung verstehen konnten. Katjas Blick auf die Dinge war immer ein anderer, fast schon transzendenter. Das lag in ihrer Persönlichkeit und vielleicht auch in ihrer Biographie begründet. Einmal erzählte sie mir, dass sie sich als junges Mädchen einer Gruppe Wiener Theosophen angeschlossen hatte, und obwohl sie sich bald wieder von ihnen trennte und ihr Leben eine andere Richtung nahm, hatte die Lektüre von Annie Besant und Krishnamurti ihre Spuren hinterlassen, und die Reden von Buddha hatte sie großartig gefunden. Ich hatte immer vor, sie zu lesen, einfach weil sie Katja so sehr beeindruckt hatten, bin aber nie dazu gekommen. Immer gab es Dringenderes zu tun, andere Bücher warteten.
Im Café Unter den Linden verfolgten Kurt, Katja, Hipólito und Mika den Ausgang der Wahlen am Radio. Obwohl das Endergebnis erst am nächsten Tag feststehen würde, war die Tendenz bereits am Abend klar ersichtlich. Sie hatten allen Grund, sich zu freuen: Die Kommunisten hatten siebenhunderttausend Stimmen gewonnen, die Sozialisten und die Nazis hatten im Vergleich zu den Wahlen im Juli Einbußen hinzunehmen. Überall lag Die Rote Fahne , man sah SA -Leute, die den Ideen Hitlers abschworen und unter die kommunistische Flagge flüchteten.
Sechs Millionen Stimmen für die Kommunisten, starke Arbeiterorganisationen, die Partei, die sich trotz aller Fehler von der Niederlage der vorherigen Wahlen erholt hatte: eine gute Ausgangslage für die Revolution, sagte Mika.
Noch glaubtest du, die Revolution in Deutschland wäre möglich, zwar gab es beunruhigende Signale, die du nicht klein redetest, aber auch andere, die Anlass zu Hoffnung gaben: der Streik der Berliner Verkehrsgesellschaft, der trotz Verbots Berlin lahmlegte, das Ergebnis der Reichstagswahlen vom 6. November. Die Hoffnung bestand bis Ende 1932.
Hipólito zeigte sich nicht ganz so optimistisch: Die Kommunistische Partei hatte schwere Fehler begangen. Kurt daraufhin: Genauso wie die Partei für den Sieg ausschlaggebend ist, das hat schon Lenin gesagt, kann sie auch zur Niederlage führen.
An diesem Nachmittag, als sie auf der Kundgebung am Lustgarten die von den Führern der KPD vorgetragenen Gemeinplätze hörte, erinnerte sich Mika an Landaus Satz.
Die sturen, ebenso überheblichen wie leeren Parolen: »Zeigt diesem Schleicher, allen, die die Partei verbieten wollen, wie viele wir sind.« Und Generalsekretär Florin: »Schaut auf Russland, dort gibt es keine Arbeitslosigkeit.«
»Aber warum schauen sie nicht auf Deutschland«, sagte Mika ungehalten.
»Russland, Russland, immer nur Russland, und Grüße an die Genossen der Komintern«, sagte Katja, als die Reden zu Ende waren.
Kein Strahl Sonne, bitterkalt war es. Mehrmals musste das Rote Kreuz anrücken.
»Die Leute sind bei dieser Kälte nicht aus der ganzen Stadt gekommen« – Hipólitos heisere Stimme –, »um sich diese Aneinanderreihung von Worthülsen anzuhören. Sie suchen eine Perspektive, einen Ausweg …« Ein Hustenanfall unterbrach seine Worte.
»Lass uns gehen«, sagte Mika.
Sie hatte ihn gebeten, zu Hause zu bleiben, wegen des Hustens, aber Hipólito hatte abgelehnt, er hatte seinen warmen Mantel und fühlte sich gut.
»Tut mir leid, Mikuscha, ich will nicht weiter unken«, versprach er ihr und unterdrückte ein Husten.
Zum Glück scheint es ihm jetzt nach dem heißen Bad besserzugehen, er wirkt guter Dinge. Während Mika die Erlebnisse der letzten Tage aufschreibt, ist Hipólito in die Küche gegangen, das Abendessen zu bereiten: sie soll ihn machen lassen, bittet er sie, irgendetwas Essbares wird er schon zustande bringen.
Mika ahnt schon, dass er eine Überraschung für sie hat, und genießt die Vorfreude. Auf ihrem Rückweg aus dem Lustgarten hat sie ihn mit Katja, die immer über
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