Die Capitana - Roman
Leute waren … Mika stand auf: Gute Nacht, Frau Schwartz, doch Hipólito blieb noch: Wir können sie doch mit ihrem Kummer nicht einfach sitzen lassen, Mika, die arme Frau.
Sie gefällt dir wohl, zog Mika ihn auf, sie ist hübsch, oder? Und er: Darauf hat er nicht geachtet, er hat nur Augen für sein Mädchen. Und da fühlte sie sich ein bisschen dumm, dass sie ihn das überhaupt gefragt hatte.
Das Treffen ist für fünf Uhr Nachmittag in der Kneipe Barrikade angesetzt, in der auch das Wahllokal eingerichtet ist. Hipólito und Mika kommen ein wenig früher, um noch eine Runde durch die Straßen des Wedding drehen zu können. Erst kürzlich, als sie zu dem Treffen von Landaus Gruppe gingen, waren sie überrascht, sie hatten mit engen Straßen gerechnet, stattdessen fanden sie breite, von Bäumen gesäumte Boulevards vor, auf denen die Leute sich angeregt unterhielten.
»In Berlin liegt etwas in der Luft«, sagt Mika und hängt sich bei Hipólito ein, »ein Knistern, man kann es fast atmen.«
Gebäude mit vier oder fünf Stockwerken, fast an jedem der Balkone Fahnen. Im älteren Teil des Viertels flattern zwei oder drei Hakenkreuze zwischen den zahlreichen Fahnen mit Hammer und Sichel, wohingegen in dem Neubaugebiet, in dem mehr Angestellte und Händler wohnen, einige wenige sozialistische Fahnen und die eine oder andere scheue kommunistische zwischen Unmengen Nazibannern herausblitzen. Die Kampfeslust steckt an, spürst du das, Hippo?
»Und ob, meine Hübsche.«
Nur wenige Nazis treiben sich im Wedding herum. Eine Gruppe von sechs uniformierten SA -Leuten marschieren an dem Lokal Reichsbanner vorüber. Die jungen Sozialisten, ebenfalls uniformiert, die vor der Tür Wache stehen, machen sich über sie lustig, stacheln sie auf:
»He, ihr Helden, warum so eilig, was rennt ihr denn so, wartet euer Chef auf euch?«
Die Nazis gehen, ohne zu antworten, weiter.
Vor der Kneipe Barrikade stehen Männer und Frauen mit Bannern unterschiedlicher Parteien, drinnen ist in einem Nebenraum ein Wahllokal eingerichtet, und in der Gaststube sitzen die Leute und reden. Alles in vollkommener Friedlichkeit.
Ein paar Genossen sind schon da, um einen Tisch versammelt. Jan begrüßt sie mit übertriebener Begeisterung, bonjour camarade, allein an sie gerichtet, dazu sein allzu vielsagender, schmieriger Blick, Scham überkommt sie, was ist nur mit diesem Mann. Ihn übergehend, wendet Mika sich an die anderen: überwältigend, die aufgeladene Stimmung in den Straßen, sind die Deutschen, Kommunisten, Sozialisten und selbst die Nazis, so mutig, haben sie so viel Courage?, fragt sie die Genossen.
»Die Courage ist das eine, die Ausgewogenheit der Kräfte das andere«, sagt Jan Well auf Deutsch und wiederholt es, ihr fest in die Augen sehend, auf Französisch.
»Die Menschen sind nicht dumm, sie wissen, dass niemandem von vornherein der Sieg gehört«, pflichtet Hipólito auf Französisch bei.
»Die Niederlage auch nicht«, sagt Mika auf Deutsch und will den hartnäckigen Blick Jan Wells loswerden. »Die Zukunft steht offen, und wir können etwas tun.«
Sie können es machen , zusammen, stimmt Jan Well ihr zu und schickt ein anzügliches Lächeln hinterher, Mika spürt, wie sie rot wird, ob die anderen das gehört haben? Sie beschließt, sich in dem Stimmengewirr verhört zu haben und drüber hinwegzugehen, doch dieser Blick lässt sie nicht in Ruhe, er springt von einem zum anderen, dem Gespräch folgend, aber kommt immer wieder zu ihr zurück. Hipólito, Hannah, Hans, Sascha, Katja und Michael reden, als würden sie nicht bemerken, dass diese grünen Augen sie vor ihnen allen ausziehen. Sieht nur sie das? Nein, Katja auch, wie sie ihr mit einem Zwinkern zu verstehen gibt.
»Hipólito und Mika haben versprochen, mich zu dem Treffen mit Kurt am Brandenburger Tor zu begleiten, und es ist schon spät«, sagt sie und bricht die Versammlung ab.
Katja war klein und zierlich, fast kindlich. Neben ihrem Mann sah sie niedlich aus. Du reichst ihm bis zum Ellenbogen!, übertrieb ich. Du Riesin hast gut reden, witzelte Katja. Ich war weder groß noch klein, und Hipólito überragte mich ein gutes Stück.
So zerbrechlich sie wirkte, so stark war sie. Der Hungerstreik, den sie Jahre später im Gefängnis von Barcelona organisierte und dem sich auch gewöhnliche Häftlinge anschlossen, ließ die Machthaber erzittern. Sie mussten sie frei lassen.
Wie gut tat es uns beiden, zusammen zu sein, wir redeten über alles Mögliche, von der Zukunft der
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