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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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riesigen Demonstrationen der Kommunistischen Partei vor Hitlers Machtergreifung. Ein guter Plan: Sie würden sich ein paar Sätze ausdenken, die sie den Faschisten entgegenbrüllen wollten, gemeinsam würden sie die Stimmen erheben, und im Anschluss würden drei Minenarbeiter, die sehr gut singen konnten, Volkslieder vortragen.
    Hitze, Begeisterung, Lachen erfüllten die Küche, die ihnen als Nachtquartier diente, als sie überlegten, was sie den Aufständischen zurufen wollten.
    »Verräter, ihr seid Arbeiter, und auf der Seite der Ausbeu-ter.«
    »Nein, Verräter nicht, besser wäre: Ihr seid reingefallen auf die offiziellen Verräter.«
    »Unglückselige.«
    »Reingefallen, unglückselig, das ist doch alles totaler Quatsch, nennen wir sie doch beim Namen: Arschlöcher, verdammte Wichser, wir scheißen auf euch.«
    Zwischen den Kraftausdrücken, in denen sie sich ohne Rücksicht auf die Anwesenheit einer Frau austobten, kam ihnen auch die eine oder andere gute Idee, das mit den Arabern fand Mika richtig gut, ja, werft ihnen an den Kopf, dass ihre christlichen Befehlshaber die Muslime nach Spanien gebracht haben, um das spanische Volk niederzumetzeln, das wird sie nachdenklich stimmen.
    Es war schwierig, sich auf einen Wortlaut zu einigen, ob lieber dieses oder lieber das andere Wort, wie soll ich mich im Schützengraben daran erinnern, ich werde alles vergessen, ist doch egal, sagte Deolindo, Hauptsache, wir brüllen alle gemeinsam. Wie konnte Mika annehmen, dass mehr als hundert Männer gleichzeitig dieselben Worte rufen würden? Sie waren Spa-nier, keine Deutschen.
    1933 konnten hunderttausende disziplinierte, engagierte Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei nicht verhindern, dass Hitler an die Macht kam; in Spanien breitete sich der unorganisierte Widerstand verschiedener Gruppierungen wie ein Feuer aus und bot dem Faschismus die Stirn. Sie sollten einfach aus dem Bauch heraus entscheiden, so wie Deolindo vorschlug.
    Irgendetwas schien man herausgehört zu haben aus dem ohrenbetäubenden Gebrüll, zu dem der Sprechchor sich auswuchs, denn einer der vier Männer, die am nächsten Morgen von den Franquisten zu ihrer Kolonne überliefen, sagte zu Mika, was sie über die Muslime gesagt hätten, habe ihn ins Herz getroffen wie eine Kugel.
    Was allerdings nach dem Sprechchor geschah, war nicht vorherzusehen gewesen. Als die Milizionäre mit dem Volkslied Ay, Maricruz, mi Maricruz, maravilla de mujé die letzten Beleidigungen wegfegten, stimmten ihre Gegner auf einmal in ihren Gesang ein. Eine Verbrüderung, die verwirrend war, und nicht zu verhindern.
    Als würde dieses Volkslied, das sie von Beginn des Krieges an begleitete, Maricruz, mi Maricruz , sie durchwirken, miteinander verweben, schmerzlich und unausweichlich, so wie sie die folgenden vierzig Jahren miteinander würden leben müssen. Du wusstest nicht, wie du darauf reagieren, was du tun solltest.
    Stumm hörte sie ihrem Gesang zu, als der Melder kam: sie möge unverzüglich bei Kommandant Ojeda vorstellig werden. Das wunderte sie nicht, das Geschrei konnte ihm nicht entgangen sein. Zum Glück waren die Volkslieder um einiges leiser, und das von dem Milizenchor improvisierte Maricruz, maravilla de mujé würde ihm wohl kaum zu Ohren gekommen sein.
    Es war nicht das erste Mal, dass Mika Ojeda gegenüber Disziplin bewies. Er hatte recht: Sie hatte den Kommandanten nicht um Erlaubnis gebeten, gegen die Faschisten einen Sprechchor auf die Beine stellen zu dürfen, weil sie sich nicht sicher gewesen war, ob er sie ihr erteilt hätte.
    »Und da haben Sie sich gar nicht erst an mich gewendet, Capitana?«, fragte Ojeda, sichtlich bemüht, sich im Zaum zu halten und sie nicht zusammenzustauchen, wie sie es wahrscheinlich verdient hätte. »Weil Sie dachten, dass es schwierig werden würde, mich für Ihren … originellen und unvorsichtigen Plan zu gewinnen?«
    »Es tut mir leid, compañero comandante .« Diese Anrede, die sie verwendete, klang für sie selbst lächerlich, aber mit Oberst würde sie ihn nicht ansprechen. »Die Milizionäre sind sehr müde, sie leiden unter der Kälte, sie bekommen nicht genug Essen und zu wenig Schlaf. Ich dachte, es würde ihnen guttun, sich mal abzureagieren. Den Beleidigungen der Faschisten etwas entgegenzuhalten war für sie eine große Genugtuung.«
    Auch Mika hatte dieses wilde Gebrüll nicht so geplant. Es hatte sich hochgeschaukelt, dagegen hätte sie nichts tun können und es auch nicht gewollt.
    Wie immer auch

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