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Die Cassini-Division

Die Cassini-Division

Titel: Die Cassini-Division Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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durchsickerten.
Ich hatte erwartet, dass ich aufgrund von hastig angelernten und
möglicherweise veralteten Daten agieren müsste.
    Jetzt auf einmal bot sich mir eine Fremdenführerin an.
Möglicherweise ein glücklicher Zufall! Oder etwas ganz
anderes, wenn ich denn unbedingt paranoid sein wollte. Ihre
Bemerkung, es gebe keine Geheimnisse mehr, war zu durchsichtig,
als dass es sich um einen Bluff handeln konnte; falls sie
irgendwelche Geheimnisse hatte (abgesehen von ihren – in
den Augen anderer Leute – geschmacklosen Interessen),
wäre sie kaum auf das Thema zu sprechen gekommen.
Außerdem war sie zu jung…
    Ich musterte sie und bemühte mich, meine Hintergedanken
und geheimen Absichten zu verbergen. Im Laufe der Jahrzehnte und
Jahrhunderte verliert man den Sinn für
Geheimniskrämerei. Die Division war nicht die Union, wohl
wahr, doch auch unsere Politik war abgestumpft und so zu sagen
verwittert, so wie eine Kanone in feuchtem Gelände
allmählich verrostet – unsere gesamte Feuerkraft war
nach außen gerichtet.
    Ob sie nun zufällig oder aufgrund des Wirkens der
geheimen Kräfte, deren Vorhandensein sie so naiv leugnete,
an Bord des Luftschiffs war, jedenfalls beschloss ich, mir diese
Gelegenheit nicht entgehen zu lassen. War sie harmlos, würde
sie mir wertvolle Kontakte und Informationen verschaffen –
war sie es nicht, war dies die einzige Möglichkeit, mir
Gewissheit zu verschaffen.
    Deshalb sagte ich: »Hm, das ist ja interessant. Kennen
Sie viele Nicht-Kooperateure?« (Das war eine höfliche
Umschreibung; sonst nannte man sie auch
›Parasiten‹, ›Schweine‹,
›Abschaum‹ und – ausgesprochen voller Hohn
und einhergehend mit einem angedeuteten Ausspucken –
›Banker‹.) Es galt als zulässig, sie mit
Münzen für ihre seltsamen Fertigkeiten und
exzentrischen Nanogeräte zu bezahlen und sie als
Fremdenführer zu engagieren – die meisten Menschen
schreckten jedoch vor jedem engeren Kontakt zurück, als ob
die NiKos eine unsichtbare ansteckende Hautkrankheit gehabt
hätten.
    »Einige schon«, antwortete sie erleichtert.
»Ich studiere die Handelsbeziehungen im Themse-Tal, wissen
Sie.«
    »Handelsbeziehungen?«
    »Die meisten Leute glauben, die NiKos lebten davon, die
Union zu bestehlen, aber das ist bloß ein Vorurteil.«
Sie schnitt eine Grimasse; sie hatte noch immer die Stimme
gesenkt, als wollte sie vermeiden, dass andere Passagiere unsere
Unterhaltung belauschten. »In Wirklichkeit sind sie
weitgehend selbstversorgend. Sie stellen allerlei Dinge her und
tauschen sie untereinander, entweder direkt oder mit kleinen
Metallgewichten als Währung. Das ist der Grund, weshalb sie
von Touristen nur Metallgewichte entgegennehmen.« Suze
lachte. »Damit wäre ich schon wieder beim Thema. Aber
das ist Ihnen ja sicherlich alles schon bekannt.«
    »Theoretisch ja«, räumte ich ein, »aber
es wäre doch interessant zu sehen, wie es in der Praxis
funktioniert.«
    *
    Isambard Kingdom Malley war Physiker gewesen. Er arbeitete die
Universaltheorie aus. Die finalen Gleichungen. Als ich noch jung
war, trug man T-Shirts mit den aufgedruckten Malley-Gleichungen.
Zumindest die Gleichungen waren elegant gewesen.
    Malley wurde 2039 geboren, also war er sechs Jahre alt, als
die Herbstrevolution stattfand. Seine Theorie wurde in den
2060ern geboren; auf den Untergang des US/UN-Imperiums folgte
eine kurze Periode der rasanten technologischen Entwicklung und
des wissenschaftlichen Fortschritts. Seine letzte, moderat
klassische Veröffentlichung trug den Titel Raum-Zeit-Manipulation mit nichtexotischer Materie, Malley, I. K., Phys. Rev. D 128 (10),
3182 (2080). Damit rückten ein quanten-chaotisches
Wurmloch und der vakuum-fluktuierende virtuelle Massenantrieb
erstmals in den Bereich des Möglichen. Im berühmten
›Anhang II: Anmerkungen zur praktischen Umsetzung‹
wurden einige Probleme angesprochen, die dem Bau des Tores und
des Antriebs entgegenwirkten. Unter anderem erklärte er, man
benötige dazu das Milliardenfache der derzeit
verfügbaren Rechenkraft.
    Eine Woche nach Erscheinen des Artikels wurde die Zeitschrift
von der für das örtliche Fragment der Ehemaligen
Vereinigten Staaten zuständigen Gang wegen
›unbiblischer physikalischer Spekulationen‹,
›Blasphemie‹ und (einigen Quellen zufolge)
›Hexerei‹ verboten. Es entbehrt nicht einer
gewissen tragischen Ironie, dass die Arbeit, die den Weg zu den
Sternen wies, in

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