Die Cassini-Division
Gegenmaßnahme ersonnen hätten, die Ihre Kometen wie
Fliegen verscheuchen würde? Von dem Moment an, da Sie die
ersten Bilder und Botschaften übermittelt hatten, war es unvermeidlich, dass die Menschen der Union auf die
Jupiteraner voller Hoffnung und auf ihre drohende Vernichtung mit
Entsetzen reagieren würden. Sie haben selbst erlebt, wie
Suze, eine typische Vertreterin der Union, und Dr. Malley, ein
typischer verbohrter NiKo, reagiert haben. Sie sind vom Rand des
Abgrunds zurückgewichen, und sie hatten Recht! Unsere
einzige Überlebenschance besteht darin, mit ihnen
zusammenzuleben. Wenn wir stattdessen versuchen würden, sie
zu vernichten, würden wir sie erst recht in die
tödlichen Gegner verwandeln, für die Sie sie
anscheinend halten.«
Sie wandte sich an Tatsuro. »Da fällt mir etwas
ein«, sagte sie. »Außer Ellen hat sich bislang
niemand ablehnend geäußert. Möchten Sie
abstimmen?«
Tatsuro nickte bedrückt. »Wer dafür ist, die
Weisungen der Delegierten zu befolgen, hebe die Hand.«
Außer Joe hoben auf der anderen Seite alle die Hand.
»Gegenstimmen?«
Ich und Joe. Ich lächelte ihn an. Er schüttelte mit
zusammengekniffenen Lippen den Kopf und fuhr sich mit dem Finger
über die Kehle. Ich glaube, außer mir nahm es niemand
wahr. Hinter mir sagte Yeng: »Scheiße.« Alle
anderen schwiegen.
»Also angenommen«, sagte Tatsuro. Er löste
das Controlpad vom Halsriemen und tippte eine lange Folge von
Steuercodes ein.
»Fertig«, sagte er zu Mary-Lou. »Die
Triebwerke feuern, die Reaktoren arbeiten. Die Kometen wurden in
den von Ihnen vorgeschlagenen Orbit umgelenkt.«
»Das möchte ich erst noch bestätigt
haben«, erwiderte sie. »Ist nicht gegen Sie
persönlich gerichtet.«
Sie sprach kurz in ihr Handy und wartete ein paar Sekunden,
dann nickte sie.
»Okay«, sagte sie. »Die Observatorien haben
es bestätigt.«
Ihre Schultern bewegten sich, als sei ein großes Gewicht
von ihnen genommen. »Und jetzt«, sagte sie, »zu
Ihnen, Ellen. Ich möchte versuchen, Sie hinsichtlich der
Jupiteraner zu beruhigen.«
Ich hatte Herzklopfen und einen trockenen Mund.
Sie setzte sich auf die Tischkante, stützte sich mit
einer Hand auf und drehte sich ein wenig zu mir herum, als
führten wir eine lockere Unterhaltung. »Wissen Sie,
das sind keine Ungeheuer. Wieso sollte man von Wesen, die
mächtiger und intelligenter sind als man selbst, erwarten,
dass sie auch böser sind? Wäre es nicht
vernünftiger, davon auszugehen, dass sie besser sind?
Weshalb sollte größere Macht größere
Schlechtigkeit bedeuten?«
Ich traute meinen Ohren nicht. Ich warf einen Blick über
die Schulter. Andrea, Jaime und Yeng arbeiteten an ihren
Bildschirmen, hörten aber zu. Die anderen schenkten Mary-Lou
ihre ganze Aufmerksamkeit. Ich durchforschte mein Gedächtnis
nach der treffendsten Formulierung, und dann hatte ich sie
gefunden.
»Weil gut ›gut für uns‹
bedeutet!«
Mary-Lou lächelte aufmunternd und sagte mit sanfter
Stimme von weit oben herab: »Ja, Ellen. Aber wer sind wir? Wir alle – posthumane wie nichthumane Menschen
– sind mit Bewusstsein ausgestattete Maschinen in einem
geistlosen Universum, und es ist unsere Pflicht, angesichts
dieses geistlosen Universums zusammenzuarbeiten, wenn es denn
möglich ist. Die Möglichkeit der Zusammenarbeit
schafft erst das Wir, und erst ihre Unmöglichkeit
schafft ein Sie. Das ist das vollständige wahre
Wissen – die Einheit und die Uneinigkeit.« Sie
lachte. »Wenn man so will – die Union und die
Division!«
Bilder der Jupiteraner in all ihren vielfältigen
Erscheinungsformen gingen mir durch den Sinn. Ich hatte das
Gefühl, kleine, kalte, widerliche Tiere krabbelten mir
über die Haut. Ich erinnerte mich an das kalte, lebendige
Metall des Roboters, an das warme Fleisch von Dees Fingerspitzen;
und ich wusste, dass meine Reaktion auf diese Maschinen, so sehr
sie auch von Gereiztheit, Misstrauen und Vorurteilen geprägt
sein mochte, nicht vergleichbar war mit dem kühlen,
intellektuell begründeten Abscheu, den ich den Jupiteranern
ungeachtet ihrer Schönheit entgegenbrachte. Die Roboter, der
Gynoid und Konsorten gehörten, ob sie nun über ein
Bewusstsein verfügten oder nicht, zu uns, während die Jupiteraner…
»Soll das heißen, Sie erwägen, ein
Bündnis einzugehen – mit denen?«
Mary-Lou nickte energisch. »Selbstverständlich. Mit
denen, die dazu bereit sind. Sie wissen es vielleicht
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