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Die Cassini-Division

Die Cassini-Division

Titel: Die Cassini-Division Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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sein scheint
als die unsere.« (Ich wäre beinahe zusammengezuckt
– ich hatte das Thema nicht einmal angetippt, aber genau
das erhofften wir uns von ihm.) »Aber wie ich schon sagte,
ist das reine Zeitverschwendung. Ich komme mit der Mathematik
nicht mehr zurecht. Dazu braucht es einen jungen Mann, und Malley
ist nicht mehr jung.«
    Mittlerweile klang er nahezu weinerlich. Ich nahm wieder
Platz, beugte mich über den Schreibtisch vor und blickte in
Malleys blutunterlaufene Augen.
    »Alter und Alkoholismus«, sagte ich, »sind
heilbar. Wie Sie sehr wohl wissen. Ein paar Behandlungen, und
schon werden Sie sich so gut fühlen wie lange nicht mehr,
besser, als Sie sich überhaupt vorstellen können. Sie werden Zugang zu den mächtigsten Rechnern
der Division haben, zu den besten Instrumenten, zu
Beobachtungsdaten, die im Laufe von Jahrzehnten zusammengetragen
wurden. Wir wollen nichts weiter, als dass Sie uns den Weg zum
Neuen Mars zeigen. Wenn Sie das tun, können Sie
anschließend im Rahmen des Möglichen tun und lassen,
was Sie wollen, genau wie wir alle.«
    Malley lehnte sich zurück und saugte an der Pfeife.
    Das grauenhafte Geblubber des Teers und des Speichels im
Mundstück war mir bislang noch nicht aufgefallen.
    »Das ist ein Angebot«, meinte er.
    Ich brauchte eine Weile, bis mir klar wurde, dass er
eingewilligt hatte.
    »Heißt das, wir haben einen Plan?«
    »Ja!« Malley kicherte. »Das haben wir. Wir
haben einen Plan.«
    *
    Eigentlich hatte ich vorgehabt, mit dem nächsten
Luftschiff zum Alexandra Port zurück und dann mit dem
Nurflügelflugzeug weiter nach Guinea zu fliegen, um mich
dort vom Laser-Launcher zur Terrible Beauty hochkatapultieren zu lassen, zu dem Fusionsclipper, der mich
hergebracht hatte und der derzeit im niedrigen Erdorbit wartete.
Unterwegs – ein kurzes Update – wollte ich Malley auf
einige Errungenschaften der Unionsgesellschaft hinweisen, von der
er sich in den vergangenen hundert Jahren so konsequent fern
gehalten hatte: auf die riesigen Babbagemaschinen, die die auf
Leontief zurückgehenden Input-Output-Matrizen abarbeiteten,
die Meeresfarmen, die kilometerhohen Wolkenkratzer, die
kilometertiefen Höhlen, die (nahezu leere) riesige Halle des
Zentralen Planungsrates mit der goldenen Statue von
Mises…
    So viel zu meinen Plänen.
    *
    »Möchten Sie sich von jemandem
verabschieden?«
    Malley packte Bücher, Instrumente und Tabakvorräte
in eine Reisetasche und machte dabei den Eindruck, auf der Stelle
aufbrechen zu wollen. Er lächelte eisig.
    »Was meinen Sie?«
    »Sie stehen hier niemandem nahe?«
    »Die Dorfhure wird mich bestimmt vermissen.«
    Ich blickte errötend aus dem Fenster und wechselte das
Thema.
    »Warum ist diese Schule eigentlich wie eine Festung
ausgebaut?«
    Der aufgewirbelte Staub brachte Malley zum Husten.
    »Das war mal eine Polizeiwache. Die Fenster lassen sich
übrigens öffnen. Ich nehme an, das war Absicht, damit
die Gefangenen fliehen konnten.«
    Ohne ihn so recht verstanden zu haben (vielleicht wollte ich
ihn auch nicht verstehen), machte ich mich am
Schließmechanismus zu schaffen. Das Fenster schwang auf,
und ich lehnte mich hinaus, um die unkontaminierte Luft
einzuatmen. Nach dem ersten Seufzer der Erleichterung blickte ich
über die nickenden Baumwipfel hinweg zur untergehenden
Sonne, dann senkte ich den Blick…
    Vor dem College hatten sich etwa fünfzig Personen
versammelt, überwiegend Erwachsene, die allesamt bewaffnet
waren: mit Gewehren, Schrotflinten und – wie die Bauern in
einem alten Horrorfilm – mit Mistgabeln. Einige
drängten sich ums Tor, andere standen im Halbkreis um den
Buggy herum, über dem der Rucksackteil meines Raumanzugs
eine summende Wolke von abwehrbereiten Hornissen gebildet
hatte.
    Malley hatte wohl etwas bemerkt. Er streckte neben mir den
Kopf aus dem Fenster.
    »Oh, Scheiße!«, sagte er.
    »Ist dafür der nette junge Mann von der Rezeption
verantwortlich?«
    »Vermutlich«, antwortete Malley.
    »Warum?«
    Er blickte mich stirnrunzelnd an. »Sie haben wirklich
nichts kapiert, hab ich Recht? Die Menschen leben hier, weil sie
Euch nicht mögen! Und sie wollen verhindern, dass Ihr mich
entführt.«
    »Sie sollten Ihnen sagen, dass Sie aus freien
Stücken fortgehen!«
    Er zog den Kopf zurück. »Versuchen kann ich’s
ja.«
    Die Leute am Buggy wichen zurück, anstatt den
schmerzhaften und sinnlosen Versuch zu unternehmen, gegen den
Hornissenschwarm anzugehen.

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