Die Cassini-Division
Sie drängten sich durch die
Menge am Tor, und da sie offenbar unternehmungslustiger waren als
der Rest, näherten sie sich dem Eingang. Jemand schaute hoch
und sah mich. Geschrei ertönte, dann drängte der Haufen
umso energischer zur Tür.
Sie würden jeden Moment die Treppe hochgestürmt
kommen.
»Anzug!«, rief ich und tippte Anweisungen in
meinen Ärmel. Der Schwarm kreiste einmal um den Buggy, dann
kam er in lang gezogener Linie auf mich zu, und während ich
mich ins Zimmer zurückzog, sammelten sich die Hornissen um
mich und formierten sich neu. Mein ganzes Outfit nahm wieder die
ursprüngliche Anzugform an. Der Anzug versteifte sich, es
wurde schwarz um mich (mittlerweile waren wir zwei Versionen
weiter und hatten den Ein-Sekunden-Bug noch immer nicht behoben),
dann klärte sich meine Sicht, und ich konnte mich wieder
bewegen.
Malley beobachtete mit offenem Mund, wie sich meine Kleidung
in eine nahtlose, mattschwarze Rüstung verwandelte, mit
einer gesichtslosen schwarzen Kugel als Helm und auffällig
verdickten Schultern.
»Das ist ein Nanotech-Raumanzug«, erklärte
ich ungeduldig. »Los, raus auf den Fenstersims, machen Sie
schon!«
Er zögerte, dann hörte er das Fußgetrappel auf
dem Gang. Er nahm die Reisetasche, kletterte auf den Sims und
blieb unter dem hochgeschwenkten Fenster hocken. Ich folgte ihm
und schlang die Arme um ihn. »Halten Sie sich fest«,
sagte ich überflüssigerweise.
»Seil«, befahl ich und sprang. Aus den Schultern
des Anzugs schossen zwei Seile hervor, deren eines Ende sich
mittels Adhäsionskräften an den Fenstersims heftete,
während das andere zum Boden hinabstieß. Wir landeten
sanft. Ich blickte mich um. Die Vorhut des Pöbels blickte
gerade in dem Moment aus dem Fenster auf uns herunter, als die
Seile sich in den Anzug zurückschlängelten. Die
Nachzügler standen zwischen dem Tor und dem Eingang und
musterten uns mit einem Gesichtsausdruck, an den ich mich noch
immer mit einer gewissen boshaften Genugtuung erinnere.
Malley richtete sich kreidebleich auf. Er hatte sich auf den
Anzug übergeben, der die organischen Stoffe bereits begierig
aufsaugte. Ich hob ihn hoch wie ein Schauspieler im
Killer-Robot-Outfit eine Schauspielerin im Guckloch-Outfit und
rannte zum Buggy. Die Menge wich vor mir zurück. Ich setzte
Malley auf den Beifahrersitz und sprang hinters Steuer.
Ich hatte die Dörfler unterschätzt. Ich hatte es
hier nicht mit einem panischen Mob zu tun, sondern mit braven
Bauern, die Zeuge der Entführung eines geschätzten und
unentbehrlichen Lehrers zu werden meinten. Diejenigen, welche die
Treppe hochgerannt waren, strömten nun zurück und
umstellten den Buggy. Studenten, junge Männer zumeist,
schlossen sich ihnen an. Sie hielten zwar ein paar Meter Abstand,
bildeten jedoch einen immer undurchdringlicher werdenden Kreis.
Ich musterte die Menschenmauer, die bunten Woll- und
Baumwollsachen und die breiten Ledergürtel, die primitiven
Waffen, die faltenlosen und feindseligen Gesichter.
Nun, zumindest sollten sie auch mein Gesicht sehen
können. »Helm scrollen«, murmelte ich, worauf
sich die Kugel um meinen Kopf oben öffnete. Die Öffnung
weitete sich und wurde dann, als die intelligente Materie in den
temporären Dichtungsring auf meinen Schlüsselbeinen
zurückfloss, wieder schmaler. Ehe jemand reagieren konnte,
wandte ich mich an Malley und sagte:
»Könnten Sie ihnen vielleicht die Situation
erklären?«
Malley zuckte die Achseln. Ihm zitterten die Hände. Er
wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, richtete
sich auf und hielt sich am Rand der Windschutzscheibe fest.
»Hört mal her, Freunde!«, rief er.
»Hört mich an! Ich danke Euch für Euren Einsatz,
aber es ist alles in Ordnung. Ich gehe für kurze Zeit mit
dieser Frau von… außerhalb fort. Und zwar aus freien
Stücken. Also macht Euch bitte keine Sorgen! Lasst uns bitte
durch.«
Der größte und am gefährlichsten wirkende Mann
im Umkreis drängte sich nach vorne durch und pflanzte sich
unmittelbar vor uns auf.
»Es tut mir Leid, Dr. Malley«, sagte er.
»Aber wir sind uns nicht sicher, ob Sie wirklich freiwillig
fortgehen wollen. Diese Raumleute, diese Sozialisten, können Sachen mit dem Gehirn anstellen, dass man meint, man
handele aus freien Stücken, während man in Wirklichkeit
ihren Willen ausführt.«
»Doch nicht wieder diese alte Lüge«,
murmelte ich vor mich hin. Eigentlich hätte ich mir denken
Weitere Kostenlose Bücher