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Die Champagnerkönigin

Die Champagnerkönigin

Titel: Die Champagnerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Schauern spürte, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, der, um Freiheit bittend, von innen gegen ihre Magenwand pochte. So etwas hatte sie nur in der Anfangszeit ihrer Verliebtheit mit Leon erlebt. Und nun fühlte sie dasselbe bei Daniel …
    »Ich weiß nicht, ob ich für eine neue Liebe schon bereit bin, ob ich es je sein werde«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihm. »Auch wenn ich meinen Alltag inzwischen wieder einigermaßen meistere, so ist meine Trauer um Leon noch immer sehr groß. Sie kommt und geht in Wellen. Ich weiß nie, wann sie mich überfällt, die kleinsten Auslöser können daran schuld sein. Ein Lied, das ich höre. Ein Radfahrer. Was, wenn ich dann in den Armen eines anderen Mannes liege?« Sie wartete auf eine Antwort. Als Daniel schwieg, sprach sie weiter: »Es stehen so viele Aufgaben vor mir, von denen ich nicht weiß, ob ich überhaupt in der Lage bin, sie zu bewerkstelligen. Ich werde Mutter, bekomme Leons Kind! Und dann der Champagner – ein Jahrhundertwein soll er werden, ausgerechnet mein erster Champagner. Mit Gustave Grosse gelingt mir das nicht, über kurz oder lang werde ich mich nach einem neuen, fähigeren Kellermeister umschauen müssen. Einem, der meine Visionen teilt. Dann muss ich mich nach neuen Käufern umschauen und und und!« Sie schüttelte den Kopf. »So viel Neues … Und dazu noch eine neue Liebe? Dazu bin ich viel zu feige.«
    »Du bist die mutigste Frau, die ich je kennengelernt habe.« In seinem Blick lagen so viel Sehnsucht, so viel Zärtlichkeit und Tiefe, dass Isabelle befürchtete, darin zu ertrinken. Sie sprang abrupt auf, und ihr Rock verfing sich an der rauhen Holzbank. Ein leises Ratschen ertönte. Ohne sich darum zu kümmern, schaute sie Daniel an.
    »Ich und mutig?« Ihr Lachen war schrill. »Das erzähl mal Clara und Josefine, die zwei wissen, was für ein Feigling ich bin. Tut mir leid, aber ich bin nicht die Richtige für dich. Am besten lässt du mich einfach in Ruhe, für Liebeleien ist in meinem Leben kein Platz.«
    Ohne ein weiteres Wort lief sie davon.

    Es war die erste Aufführung der neuen Saison, und die Oper in Reims war bis auf den allerletzten Platz besetzt. Nun, da die Ernte eingefahren und die Kreidekeller der Champagne voll waren, gelüstete es die Champenois nach Unterhaltung und Abwechslung. Der Intendant der Oper, ein erfahrener älterer Mann aus Paris, wusste um die Bedürfnisse seiner Besucher, und so hatte er beschlossen, zum Saisonauftakt Jules Massenets Oper Manon zu geben – eine so dramatische wie verhängnisvolle Liebesgeschichte, die zur Zeit Ludwig XV . spielte. Schöne Frauen, reiche Edelmänner, prachtvolle Kostüme vor noch prachtvollerer Kulisse, dazu eine frivole, freche Sprache – damit konnten sich die Champa­gnerwinzer bestens identifizieren! Nur einem gelang dies an jenem Abend nicht …
    Rastlos rutschte Raymond Dupont auf seinem Stuhl in einer der mit rotem Samt ausgekleideten Logen hin und her. Die Arien der Manon Lescaut kratzten an seinen Nerven, als würde jemand mit einer Scherbe über Glas schleifen, ihr ewiges Hin und Her zwischen ihrem Geliebten Chevalier Des Grieux und dessen Widersacher, dem reichen de Brétigny empfand er nicht, wie die anderen Operngäste, als lustvoll, sondern als abstoßend. Warum merkten die beiden Männer nicht, welch hinterhältiges Spiel die liederliche Schönheit mit ihnen trieb? Wie konnte es sein, dass sich erwachsene Männer so an der Nase herumführen ließen? Wo blieb die wahre, die große Liebe?
    Raymond wusste selbst nicht, warum er sich innerlich so echauffierte. Es war eine Oper, nicht mehr.
    Lag es an den viel zu geschäftigen Wochen, die er hinter sich hatte? Endlos lange Tage in seinem Laden, gefolgt von allabendlichen Ausflügen aufs Land, die er mit seinen wohlhabenden Kunden, die Erntestimmung genießen wollten, hatte unternehmen müssen. Als er sich so ausgiebig um das Wohlergehen seiner verwöhnten Klientel gekümmert hatte, war es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen gefallen: Es gab niemanden, wirklich niemanden, der sich um sein Wohlergehen kümmerte! Er, der gutsituierte Grandseigneur des Champagners, er, einer der Pfeiler der Reimser Gesellschaft, war mutterseelenallein auf dieser Welt. Wenn er spätnachts in seine zweihundert Quadratmeter große Luxuswohnung kam, begrüßte sie ihn kalt und verwaist wie ein Grab. Nun, nach Ende der Weinernte, hatte in der Champagne die Festsaison begonnen, und er würde noch mehr arbeiten müssen. Seine

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