Die Champagnerkönigin
nun schon wieder etwas von ihr? Ein Streit unter Betrunkenen, den sie – die Chefin, wie die Leute sie inzwischen nannten – schlichten sollte? Oder wollte sie jemand zur Feier zurückholen? Waren ihr nicht einmal ein paar stille Minuten vergönnt?
Ihre Miene entspannte sich erst, als sie sah, um wen es sich bei dem nächtlichen Spaziergänger handelte.
»Isabelle?« Daniel Lambert machte bei ihrem Anblick ein erstauntes Gesicht. »Findet heute nicht euer großes Abschiedsfest statt?«
»Manchmal ist die Stille das Beste, was einem Menschen passieren kann«, erwiderte sie.
»Manchmal aber auch nicht«, sagte er mit einem schrägen Grinsen. »Die Stille kann man auch in Gesellschaft genießen. Darf ich?«
Er zeigte auf den Platz neben ihr. Sie nickte hastig.
Eine Zeitlang saßen sie in einträchtigem Schweigen nebeneinander. Sein Körper strahlte eine angenehme Wärme aus. Unwillkürlich lehnte sich Isabelle ihm entgegen. »Solch eine Sternenpracht gibt’s wahrscheinlich nur hier in der Champagne, oder?« Sie wies zum sternenschweren Himmel hinauf.
»Und trotzdem gibt es Menschen, die sehen nur das Dunkel, aber nicht die Sterne«, erwiderte Daniel.
»So erging es mir auch lange Zeit, auch ich musste erst wieder lernen, die Sterne zu sehen«, sagte Isabelle nachdenklich.
Das erneute Schweigen war spannungsgeladener als zuvor. Ein leichter Schauer fuhr über Isabelles Rücken, er war nicht unangenehm, machte ihr aber ein wenig Angst. Unwillkürlich rückte sie ein Stück von Daniel ab, dann streckte sie ihre Arme nach oben, um die schmerzenden Muskeln, die sich vom Schleppen der Töpfe, Pfannen und Geschirrberge gebildet hatten, ein wenig zu entspannen. Im selben Moment überlegte sie, wie gut es sich wohl anfühlen würde, ihren Kopf auf seine Schulter zu legen. Sonst geht’s dir noch gut?, ärgerte sie sich sogleich. »Mir kommt es allmählich so vor, als würde nach diesen Erntewochen in meinen Adern eher Wein als Blut fließen«, sagte sie hastig. »So seltsam, wie mir zumute ist …«
Daniel lachte. »Hier in der Champagne kommt doch jeder mit Wein in den Adern zur Welt. Mir scheint, du bist auf dem besten Weg, eine richtige vigneronne zu werden.«
Sie schaute ihn schräg von der Seite an. »Wenn ich an Henriette denke, frage ich mich allerdings, ob das nun ein Kompliment war oder eher das Gegenteil.«
»Kannst du dir aussuchen«, erwiderte er in ebenso leichtem Ton. Dann wurde er ernster. »Und? Haben Àlvarez und seine Leute dir gut geholfen?«
» Du hast die uns geschickt?«
Er zuckte nur mit den Schultern. »Leider habe ich erst sehr spät mitbekommen, was bei euch los ist, ansonsten hätte ich früher geholfen.«
Einen Moment lang fehlten ihr die Worte.
»Danke«, sagte sie schließlich leise. »Ich weiß zwar nicht, warum du das alles für mich tust, aber ohne dich wäre ich schon mehr als einmal verloren gewesen.«
Im nächsten Moment spürte sie seine Lippen auf ihrem Mund. Die Berührung war federleicht und intensiv zugleich. So erschrocken Isabelle über den plötzlichen Kuss war, so spürte sie doch ein leises Kribbeln in ihrem Bauch. Vorsichtig öffnete sie ihre Lippen ein wenig und spürte seine Zunge. Zu ihrem Erstaunen schmeckte er nicht nach Wein, sondern nach klarem Quellwasser.
Für einen Augenblick stellte sie sich vor, wie es wohl wäre, mit Daniel Liebe zu machen, seine zärtlichen Berührungen zu genießen, sie zu erwidern, mit ihm Ekstase und Entspannung zu erleben. Aber das durfte nicht sein, nie würde sie das zulassen! Sie war Leons Witwe und ihm über den Tod hinweg treu. Erschrocken rückte sie von Daniel ab.
Daniel lächelte. »Ich wünsche dir alles Gute, meine kleine vigneronne Allemande . Möge dein Champagner so prickelnd werden, wie du es bist.«
»Du machst mir Angst«, sagte sie verstört.
»Glaubst du, mir geht es anders?«, erwiderte er. »Du machst mir höllisch Angst. Dieser Kuss gerade eben – er kam für mich ebenso unerwartet wie für dich. Ich hatte nicht vor, mich in dich zu verlieben. Wer verliebt ist, wird verletzlich. Aber diesen Kampf scheine ich verloren zu haben. Darum bitte ich dich, sei gnädig mit mir.« Die Lachfalten rund um seine Augen in seinem wettergegerbten Gesicht wurden tiefer.
Isabelle konnte sein Lächeln nur mit Mühe erwidern, zu vieles schoss ihr durch den Kopf. Daniels Beichte hatte sie schockiert. Welche Gefühle hegte sie selbst für ihn? Sie wusste nur, dass sie in seiner Gegenwart jedes Mal ein leises
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