Die Champagnerkönigin
Kundschaft verließ sich auf seine Beratung, und wo auch immer in und rund um Reims eine Feier stattfand, lieferte er die passenden Champagner dazu. Naturgemäß war dies mit zahlreichen Verkostungen verbunden, mit ausführlichen Gesprächen, und manchmal erwartete seine Kundschaft sogar von ihm, dass er sich die Örtlichkeit anschaute, bevor er einen Champagner für das Fest auswählte.
Arbeit, Arbeit und nichts anderes mehr …
Nicht einmal eine kleine Liebelei konnte er derzeit aufweisen, dachte Raymond verärgert, als die schöne Manon in die Arme von de Brétigny sank.
Als der Vorhang fiel, und ein melodischer Gong die dreißigminütige Pause einläutete, atmete Raymond auf. Mit einem freundlichen Lächeln in Richtung der anderen Logengäste flüchtete er regelrecht an die Champagnerbar, die im festlich erleuchteten Foyer auf den Ansturm der Operngäste wartete.
Während er einen coupe de champagne bestellte, ließ er seinen Blick über die Gäste schweifen. Alle waren sie da – die Ruinarts und die Moëts, Maurice und Georges Roger aus Épernay, Louis Pommery, Joseph und Georges Bollinger – alle hatten sie elegant gekleidete Damen an ihrem Arm, Zweisamkeit, wohin man schaute … Raymond runzelte die Stirn. Soweit war es mit ihm gekommen vor lauter Arbeit – statt eine schöne Frau an seiner Seite zu haben, stand er wie bestellt und nicht abgeholt an der Bar. Eigentlich wäre es jetzt seine Aufgabe gewesen, auf diesen oder jenen Champagnerwinzer zuzugehen. Ein Kompliment zu machen, über die nächste Verkostung zu sprechen. Doch statt seinen üblichen Charme spielen zu lassen und seine Kontakte zu pflegen, stand er mit eingefrorenem Lächeln da und hoffte, dass man ihn in Ruhe ließ. Was ist nur los mit dir?, fragte er sich stumm. Er brauchte dringend Erholung, um wieder auf andere Gedanken zu kommen.
Wahrscheinlich hätte er sich noch weiter in seinen trüben Gedanken verstrickt, wären nicht just in dem Moment Alphonse und Henriette Trubert auf ihn zugekommen. Raymond stutzte. Er hätte nicht erwartet, dass sich die beiden gemeinsam in der Öffentlichkeit zeigten, schließlich pfiffen die Spatzen von allen Dächern, dass Alphonses Geliebte Ghislaine Lambert ein Kind von ihm erwartete. Doch allem Anschein nach schien sich Henriette nichts daraus zu machen, mit hochgerecktem Kopf und in aufrechter Haltung stolzierte sie durch den Saal, grüßte hier, grüßte da.
»Raymond, mein Lieber!« Mit dem Lächeln eines Raubfischs kam Henriette auf ihn zu. Ebenfalls lächelnd, küsste er sie auf beide Wangen, wobei er versuchte, das verschmierte Lippenrot auf ihren Zähnen zu ignorieren. Was ihn jemals an dieser Frau gereizt hatte, konnte er nicht mehr nachvollziehen. Alphonse schien es nicht anders zu gehen, kaum hatte Henriette das Wort an Raymond gerichtet, ergriff der Winzer die Möglichkeit zur Flucht.
»Was für eine zauberhafte Aufführung! Geistreich und raffiniert zugleich komponiert, dazu ein ausgeprägtes Kolorit …« Henriette verdrehte schwärmerisch die Augen.
Seit wann bist du unter die Opernkenner gegangen?, wollte Raymond seine ehemalige Geliebte fragen, doch er verkniff sich die Bemerkung. Wie er selbst ging Henriette nur in die Oper, um zu sehen und gesehen zu werden, das Spiel abseits der Bühne fanden sie beide viel interessanter als die Anstrengungen der eigentlichen Akteure – mehr als einmal hatten sie sich in der Vergangenheit über diese Gemeinsamkeit lustig gemacht.
»Hat’s dir die Sprache verschlagen, oder was ist los mit dir?« Henriette gab ihm einen undamenhaften Knuff in die Seite. »Rede mit mir – dein Schweigen wird allmählich peinlich, die Leute schauen schon.«
Reiß dich zusammen, ermahnte sich Raymond nicht zum ersten Mal an diesem Abend. Stimmungstrübungen wie die heutige waren ihm fremd, sie ängstigten und ärgerten ihn zugleich. Doch statt einen launigen Spruch oder ein Kompliment auszusprechen, was die Damen am liebsten hörten, seufzte er tief auf.
»Ich glaube, ich werde alt«, hörte er sich dann zu seinem Entsetzen sagen.
Henriette, die annahm, er habe einen Scherz gemacht, lachte perlend auf. »Werden wir das nicht alle irgendwann? Ich weiß genau, was dir fehlt, mein Lieber«, flüsterte sie ihm verschwörerisch zu.
»Wie kannst du das wissen, wo du selbst doch noch in der Blüte der Jugend stehst?« Raymond gelang es endlich, seinen üblichen Charme auszuspielen.
Henriette hob kokett die schmalgezupften Brauen, dann hakte sie sich bei ihm
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