Die Champagnerkönigin
sie ihm nur hinterher. Sie musste sich endlich nach einem neuen Kellermeister umschauen, und das so bald wie möglich.
Um sich wieder zu beruhigen, lief sie ein Stück den Hauptgang des Kellers entlang, wo Dutzende von großen Holzfässern den Weg säumten. Wie still es hier war! Wie in einer Kathedrale. Und wie geborgen sie sich hier unten in der Dunkelheit fühlte! Ob es ihrem Kind im Mutterleib ebenso ging? Zärtlich strich sie über ihren Bauch.
In Jacques’ Büchern hatte sie gelesen, dass nach der première soutirage die sogenannte assemblage , also der erste Verschnitt der Weine anstand – einer der wichtigsten Momente des ganzen Winzerjahrs. Und in diesem Jahr war der Verschnitt noch wichtiger als sonst. Ihr Jahrhundertchampagner sollte völlig anders werden als die süßen Limonaden von Grosse. Elegant, nicht zu süß, aber auch nicht so trocken, dass es einem im Mund kratzte. Mit blumigen Noten und würzigen Untertönen. Er sollte die Vielfalt an Aromen innehaben, die sie sich fürs neue Jahrhundert erwünschte! Doch diesen Traum konnte sie nur mit einem Kellermeister verwirklichen, der ihre Ideen verstand und sie handwerklich umzusetzen vermochte. Einem wie Daniel Lambert …
Als sie aus dem Keller ins Freie trat, war sie so in Gedanken versunken, dass es einen Moment dauerte, bis sie die Veränderung wahrnahm. Draußen war es mindestens so still geworden wie im Weinkeller.
Der erste Schnee! Lautlos rieselten feine Flocken vom Himmel herab, legten sich wie ein Brautschleier aus feinster Spitze über die Landschaft. Isabelle jauchzte leise vor Entzücken. Wie verzaubert die Rebenfelder nun aussahen, wie eine Märchenlandschaft! Vergessen war der Ärger wegen Grosse. Vergessen auch die ungelösten Probleme – einen Moment lang gab sich Isabelle den vielen Erinnerungen hin, die in ihr emporstiegen wie überkochende Milch.
Der erste Schnee in Berlin. Weihnachtsvorbereitungen im Haus ihrer Eltern. Der große Tannenbaum mit den unzähligen Geschenken. Angesichts der wertvollen Schmuckstücke, der kostbaren Porzellanfiguren und silbernen Schatullen hatte Isabelle mehr als einmal das Gefühl gehabt, dass es ihrem Vater gar nicht darum ging, ihre Mutter oder sie glücklich zu machen, sondern zu zeigen, was er sich alles leisten konnte.
Dann das ärmliche Weihnachtsfest im letzten Jahr im Haus von Leons Eltern. Leon und sie hatten sich noch vor der Mitternachtsmette davongeschlichen und das Fest der Liebe auf ihre Art gefeiert. Leon …
Schneeflocken legten sich auf ihre Wimpern, schmolzen und rannen kalt ihre Wangen hinab. Isabelle blinzelte. Dieses Jahr war Weihnachten anders. Es würde keine großen Geschenke geben und auch keinen prachtvollen Tannenbaum. Sie konnte nicht in Leons Arme sinken. Trotzdem gab es keinen Grund zu weinen. Sie war nicht allein. Ghislaine hatte sie eingeladen, Micheline wollte ebenfalls kommen. Vielleicht würde sie es sich auch zu Hause gemütlich machen, sie und das Kind in ihrem Bauch. Leons Kind … War sie nicht jetzt schon reich beschenkt?
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, doch schon im nächsten Moment machte es einem Stirnrunzeln Platz. Nur noch zwei Wochen waren es bis Weihnachten, und sie hatte noch kein einziges Geschenk gekauft! Claude Bertrand sollte neue Stiefel von ihr bekommen, seine alten fielen ihm schon von den Füßen. Für Claudes Hund würde sie eine Wurst besorgen. Micheline würde sich bestimmt über ein Lippenrot freuen und Marie über ein Stück Seife. Ghislaine sollte etwas für ihr Kind bekommen. Und ihrem Kind wollte sie auch etwas kaufen! Wenn sie nur schon gewusst hätte, ob es ein Junge oder ein Mädchen wurde. Eine Rassel vielleicht?
So viele Pläne, so viele Ideen. Zuversichtlich machte sich Isabelle auf den Weg ins Haus. Sie musste dringend nach Reims fahren, nicht nur wegen der Weihnachtsgeschenke, sondern vor allem, um sich wegen eines neuen Kellermeisters zu erkundigen. Aber zuerst waren die Weinberge an der Reihe.
Eine Stunde später stand sie in ihrer dicksten Jacke und mit drei Paar Wollsocken in den Stiefeln am Misthaufen, wo Claude Bertrand mit den Pferden und einem randvoll mit Mist beladenen Wagen schon auf sie wartete.
»Eigentlich ist das, was wir heute vorhaben, viel zu anstrengend für Sie, Madame«, sagte er missbilligend.
»Keine Sorge, ich mach langsam«, versuchte Isabelle ihren Verwalter zu beruhigen. Auch sie hätte es sich lieber im Haus bequem gemacht, hätte ein paar Kekse gebacken oder an der Decke fürs
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