Die Champagnerkönigin
Korklieferanten war gerade hinter der ersten Kurve verschwunden, als sich ein weiteres Fuhrwerk näherte.
Isabelle runzelte die Stirn. Wer wollte nun schon wieder etwas von ihr? Mit verschränkten Armen wartete sie, bis der Kutscher sein Fuhrwerk im Rondell vor ihrem Haus gewendet und es dann geparkt hatte.
»Bonjour, Madame! « Mit einem zahnlückigen Grinsen lupfte er seine Kappe. »Schon wieder ist ein Jahr vergangen, ist es denn zu glauben. Ich liefere die Flaschen, dreitausend Stück, so wie jeden Dezember. Feinstes Glas aus den Argonnen!«
Mit sinkendem Herzen schaute Isabelle zu, wie der Mann und sein Gehilfe eine Kiste nach der anderen abluden und Gustave Grosse, der von dem Glasgeschepper anscheinend aus seinem Mittagsschlaf geweckt worden war, die beiden dirigierte. Eigentlich musste sie froh und dankbar sein, dass Jacques die Flaschen und Korken regelmäßig anliefern ließ. Doch beim Gedanken daran, wie ihr schönes Geld aus dem Amerikaauftrag dahinschmolz wie der erste Schnee, überfiel sie eine nervöse Unruhe.
»Die Rechnung, Madame! Und wenn Sie vielleicht eine kleine Brotzeit für uns und etwas Wasser und Heu für die Pferde hätten?«
Nachdem der Glaslieferant und sein Gehilfe ein Stück Baguette mit Butter gegessen und die Pferde versorgt hatten, machten sie sich auf den Weg zu ihren weiteren Kunden in Hautvillers.
»Bis zum nächsten Jahr!«, rief der Lieferant Isabelle vom Kutschbock aus frohgemut zu.
Sie nickte vage. Wer wusste schon, was nächstes Jahr sein würde? Erschöpft kuschelte sie sich unter einer Decke auf die Chaiselongue im großen Salon, wo ein wohlig warmes Feuer im Kachelofen brannte. Ein heißes Bad? Dazu war sie viel zu müde!
Als sie am nächsten Morgen erwachte, wusste sie einen Moment lang nicht, wo sie war. Längst war das Feuer im Kachelofen niedergebrannt, und im Salon war es empfindlich kalt. Hatte sie wirklich die ganze Nacht hier verbracht, ohne Abendessen und in ihren schmutzigen Kleidern? Kopfschüttelnd machte sie sich auf den Weg in die Küche. Claude hatte recht, sie musste wirklich besser auf sich aufpassen. Als Wiedergutmachung bereitete sie sich ein besonders reichhaltiges Frühstück zu.
Gestärkt verließ sie danach das Haus und brachte ihre Küchenabfälle zu den Hühnern in den Stall. Es hatte wieder leicht zu schneien begonnen, doch dieses Mal hatte Isabelle kein Auge für die Schönheiten der Natur. Nachdem sie die Eier eingesammelt hatte, ging sie auf kürzestem Weg zum Weinkeller, wo sie Gustave Grosse den Marsch blasen wollte. Er hätte sie wegen der Korken- und Flaschenlieferung wirklich vorwarnen können, dann hätte sie nicht so dumm dagestanden!
Sie hatte ihre Hand gerade an den massiven Griff des Haupttores gelegt, als ein dumpfes Geräusch aus dem Keller sie zusammenschrecken ließ. Kanonendonner! In ihrem Weinkeller?
Erschrocken stellte sie den Korb mit den Hühnereiern ab und schob das Tor erst einen Spalt, dann etwas weiter auf. Sogleich wurde das Knallen noch lauter. Du lieber Himmel, was war das? Eine Explosion? Hilflos schaute sich Isabelle um. Kein Claude weit und breit. Was, wenn der Kellermeister in akuter Gefahr war und Hilfe benötigte? Sich und ihr Kind wollte sie jedoch nicht auch in Gefahr bringen. Was also tun?
»Monsieur Grosse?«, schrie sie durch das offene Tor. »Gustave? Ist alles in Ordnung?« Als sie keine Antwort bekam, trat sie zögerlich ein, machte ein paar Schritte in Richtung Treppe, doch als ein neuerliches Knallen ertönte, blieb sie wieder stehen.
»Monsieur Grosse! Was ist da unten los? So sagen Sie doch etwas!« Ihr Herz klopfte nun bis zum Hals, und ihre Knie zitterten, als sie sich über das Geländer lehnte.
»Alles in Ordnung«, ertönte es dumpf aus einem der unteren Stockwerke.
Vor Erleichterung wurde Isabelle ganz schwindlig. So schnell es ihr möglich war, stieg sie die Treppe ins darunterliegende Stockwerk hinab. Auf der vorletzten Stufe trat sie auf etwas Weiches, Rundes, und ihr Fuß rutschte nach vorn weg. Hastig klammerte sie sich am Geländer fest. Jetzt ein Sturz – das fehlte ihr noch!
Verärgert schaute sie auf den Boden, um zu sehen, worauf sie getreten war. Ein Korken! Was zum Teufel hatte der hier verloren? Mit verkniffenem Mund, den Blick suchend zu Boden gerichtet, ging sie weiter.
Im nächsten Moment traf sie fast der Schlag. Große, spitze Scherbenstücke, abgerissene Flaschenhälse und -böden, gefährlich kleine Glassplitter und weitere Korken übersäten den Boden und
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