Die Champagnerkönigin
den Vorgärten der kleinen Dörfer, durch die sie fuhren, standen Krokusse und blaue Hyazinthen in voller Blüte. Durch die halbgeöffneten Fenster der Kutsche wehten süße Düfte, die verheißungsvoll von der warmen Jahreszeit kündeten. Das jährlich wiederkehrende Wunder des Erwachens der Natur war Hauptthema unter den Postkutschenreisenden.
»Diese Blütenfülle! Dabei lag hier erst kürzlich noch Schnee.«
»Schauen Sie nur, der prächtige Forsythienstrauch!«
»Und dazu der Himmel in Kornblumenblau …«
Auch Isabelle gab hin und wieder einen kleinen Laut der Begeisterung von sich. Lust auf Gespräche hatte sie nicht, dazu ging ihr zu viel durch den Kopf.
Essoyes war ein Dorf wie aus einem Bilderbuch. Mit weißgekalkten Häusern und kleinen Vorgärten, trägen Katzen, die sich auf sonnenbeschienenen Fenstersimsen aalten, und Wäscheleinen, auf denen blütenweiße Laken im Frühlingswind wehten. Hier war die Welt in Ordnung, dachte Isabelle, als sie mit ihrem Gepäck durch das Dorf ging, doch sie korrigierte sich sogleich. Aber das hatte sie auch geglaubt, als sie in Hautvillers angekommen war. Welche Dramen sich wohl hinter diesen blumengeschmückten Fenstern abspielten?, fragte sie sich, als sie an einem besonders hübschen Haus vorbeikam. Oder fand hier wie überall das ganz normale Leben statt, mit all seinen Höhen und Tiefen? Der Gedanke war tröstlich.
Zu ihrem Erstaunen wohnte der große Künstler nicht in einer herrschaftlichen Villa, sondern in einem ganz gewöhnlichen Haus mit einem riesigen Garten. Wohin Isabelle auch schaute – überall sah sie Rosen. Rosenbüsche, Kletterrosen und elegante Beetrosen.
»Jetzt bedauere ich, nicht im Juni hergekommen zu sein, der Anblick der blühenden Rosen muss zauberhaft sein«, sagte sie, während sie Renoir quer durch den Garten in sein Atelier folgte. Dort habe er mehr Ruhe vor den Kindern und den vielen Besuchern als im Haus, hatte er gleich nach der Begrüßung gesagt.
Der Maler nickte. »Ein Grund, warum ich das Leben auf dem Land dem in der Stadt vorziehe. Ich bekomme den Wandel der Jahreszeiten viel unmittelbarer mit, sie sind so vergänglich wie unser eigenes Leben.«
Isabelle lächelte nachdenklich. »An Tagen wie diesem glaube ich, mich im Sommer meines Lebens zu befinden. Voller Aufbruchsstimmung und Tatendrang, doch dieses Gefühl kann morgen schon verflogen sein. Dann habe ich viel eher das Gefühl, als wäre schon der Herbst meines Lebens angebrochen.«
»Auch der Herbst hat schöne Seiten, aber Sie, liebe Madame Feininger, sind doch noch der Frühling selbst!«, sagte der Maler, und die Runzeln in seinem Gesicht wurden durch sein Lächeln noch tiefer. Er öffnete die Tür zum Atelier und ließ sie eintreten.
Drinnen war es fast so hell wie draußen, was an den raumhohen, gardinenlosen Fenstern lag. An den Wänden stapelten sich unzählige Leinwände. Was sich darauf wohl alles verbarg?, fragte sich Isabelle, während sie den Geruch von Farbe und Terpentin einatmete.
Pierre-Auguste Renoir zeigte auf einen hölzernen Schemel, der zwei Meter von seiner Leinwand entfernt mitten im Raum stand.
»Setzen Sie sich, Madame Feininger, und lassen Sie uns gleich beginnen. Wir haben heute noch viel vor.«
Doch Isabelle zog zuerst die Champagnerflasche, die sie mitgebracht hatte, aus ihrer Tasche und stellte sie auf ein kleines Tischchen, das mit Farbtuben übersät war. »Mit diesem Champagner sollen meine Kunden die Jahrhundertwende feiern. Wenn Sie mögen, öffne ich die Flasche gern für Sie, damit Sie den Geschmack kennenlernen können.«
Doch der Maler winkte ab und wies sie abermals an, sich auf den Schemel zu setzen. »Ein neues Etikett mit Ihrem Portrait darauf soll es werden, richtig?«
Isabelle nickte, während sie sich niederließ. »Es soll weiblicher wirken als das bisherige, eleganter und moderner. Es soll Aufmerksamkeit erzielen und sich aus der Masse hervorheben.« Das Sonnenlicht fiel durchs Fenster direkt auf ihr Gesicht, sie blinzelte, doch kurz darauf hatte sie sich daran gewöhnt. Ihre Gesichtszüge entspannten sich, die Schultern sanken nach unten. Sie atmete tief durch, während sie die warmen Sonnenstrahlen genoss.
»Erzählen Sie doch noch ein bisschen von Ihrem Weingut und Ihren Plänen«, bat Renoir, und so berichtete sie ihm von dem Neuanfang, den Daniel und sie gemeinsam wagten. Noch während sie vom Jahrhundertwind sprach, fing der Maler an, die ersten Pinselstriche auf die Leinwand zu setzen. Als sie am Ende
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