Die Champagnerkönigin
Die Oper, die Rennbahn, das Glücksspielcasino – wo sich die reiche Kundschaft tummelt, da tummeln sich auch die Champagnerverkäufer«, erklärte Raymond Dupont, nachdem die anderen gegangen waren und sie sich am runden Tisch im Salon gegenübersaßen.
»Und wie soll ich angesichts dieser Konkurrenz ein Stück vom Kuchen abbekommen?«, fragte Isabelle mit banger Stimme. Sie wagte nicht daran zu denken, was wäre, wenn die Verkaufsreise erfolglos bliebe. Sie wäre dann völlig mittellos. Alles aus und vorbei. Schon jetzt waren ihre Geldvorräte aus dem Geschäft mit den Amerikanern dahingeschmolzen. Und fast täglich kam Daniel mit neuen Ideen daher, wie man das Weingut modernisieren und die Weinberge neu aufforsten könne. Das alles kostete sehr viel Geld.
Sie legte Margerite vom rechten Arm in den linken. Wie goldig sie aussah, wenn sie schlief!
Raymond schlug eine weitere Seite seines in dunkelbraunes Leder gebundenen Notizbuchs auf.
»Im vorletzten Jahr wurden über vierundzwanzig Millionen Flaschen Champagner verkauft – da werden wir es doch wohl schaffen, Ihren Bestand ebenfalls an den Mann zu bringen.« Er lächelte Isabelle aufmunternd an. »Bei der Qualität und dazu noch dem attraktiven Äußeren, und damit meine ich nicht nur die Champagnerflaschen …«
Isabelle spürte, dass sie sich wieder entspannte. »Ach Raymond, wenn ich Sie nicht hätte!« Spontan langte sie über den Tisch nach seiner rechten Hand.
»Die Kunst liegt darin, auf diesem riesigen und äußerst schwierigen Markt die entsprechenden Nischen zu finden«, fuhr der Reimser fort. »Den russischen Markt können wir uns schenken, dort treten sich die Vertreter von Moët, Roederer und Ruinart gegenseitig auf die Füße. Die Engländer sind zwar ebenfalls große Champagnerliebhaber, aber auch dieser Markt ist längst fest in der Hand einiger Größen: Pol Roger hat beste Beziehungen zum Hof von König George dem Fünften, und Mercier und Pommery sind ebenfalls gut im Geschäft.« Er winkte ab, als wollte er sagen: Wen interessiert’s!
»Die Amerikaner bevorzugen nach wie vor süßen Champagner, somit ist Amerika auch kein Markt mehr für mich«, fügte Isabelle an. »Somit bleibt wohl nur Europa übrig.«
Raymond lachte auf. »Wie Sie das sagen – als ob Europa ein Kuhdorf sei. Warten Sie nur ab, bis Sie meine Kunden kennenlernen – sie stehen dem englischen und russischen Adel in nichts nach. Und mit ein bisschen Glück werden dies bald auch Ihre Kunden sein.«
Es war später Nachmittag, als Raymond ging. Noch immer strahlte die Sonne vom Himmel, noch immer war es angenehm warm. Nachdem Isabelle Margerite gestillt hatte, legte sie sie in den Kinderwagen und schob ihn nach draußen. Ein bisschen frische Luft würde ihnen beiden guttun. Vor dem Haus zögerte Isabelle kurz. Sollte sie ins Dorf gehen, Ghislaine und ihrem Jungen nochmals einen Besuch im Le Grand Cerf abstatten? Einem inneren Ruf folgend, machte sie sich auf in Richtung der Weinberge. Während sie den Kinderwagen über die holprigen Graswege schob, ließ sie das Gespräch mit Raymond Dupont noch einmal Revue passieren. Wie er mit Zahlen und Fakten um sich geworfen hatte – der Champagnerhändler kannte sich in seinem Metier wirklich aus. Wenn nicht alle Stricke rissen, würde ihre Reise ein Erfolg werden. Der Gedanke hätte sie eigentlich glücklich machen müssen, doch tief drinnen verspürte Isabelle einen Hauch von Unbehagen, den sie sich nicht erklären konnte.
Ihre Miene hellte sich erst auf, als sie den entdeckte, den sie unbewusst gesucht hatte. Daniel.
»Sag bloß, deine Bewunderer sind schon gegangen?«, sagte er, ohne von seiner Arbeit aufzuschauen.
»Und du? Noch immer nicht mit dem Tagwerk fertig?«, erwiderte Isabelle und wies auf den Bindedraht, mit dem er einen zu lang gewordenen Trieb an einem hölzernen Gerüst befestigte.
Ihre Blicke trafen sich, und sie lächelten.
Während Daniel seelenruhig weiter Triebe festband, als wäre sie nicht anwesend, hob Isabelle Margerite aus dem Kinderwagen. Dann setzte sie sich auf den weichen Moosboden und nahm ihre Tochter auf den Schoß, wo das Mädchen selig weiterschlief. Sehnsüchtig schaute Isabelle zu, wie der schmale Streifen vom letzten Sonnenlicht immer tiefer auf die Weinberge herabsank.
Nach wenigen Minuten setzte sich Daniel wortlos neben sie. Erst jetzt sah sie, dass er einen kleinen Rucksack bei sich hatte. Wollte er am Abend noch ins Dorf oder gar nach Épernay? Ein Stich fuhr durch
Weitere Kostenlose Bücher