Die Champagnerkönigin
Isabelles Herzgegend.
»An jedem Ort und zu jeder Zeit schlafen können, diese Gabe haben nur Säuglinge und kleine Kinder.« Voller Zärtlichkeit strich er der schlafenden Kleinen über die Wange. Dann schaute er auf. »Und? Bist du zufrieden mit Lucille?«
Isabelle nickte. »Mehr als das. Sie ist ein Geschenk des Himmels. Als ich Margerite soeben in den Kinderwagen legte, hat sie mich ganz skeptisch angeschaut. Es wäre ihr wohl lieber gewesen, sie hätte die Kleine weiterhin für sich gehabt.« Sie lächelte. Dass eine fremde Frau ihr Kind so lieben würde, wie sie selbst es tat, hätte sie nie gedacht.
»Aber warum bist du vorhin so bald gegangen? Ich hätte gern noch mit dir auf ein gutes Winzerjahr angestoßen.«
»Ein gutes Winzerjahr!« Daniel schnaubte leise. »Dafür braucht es keine Häppchen und anderen Tamtam, sondern Fleiß, Schweiß und Gottes Segen.«
»Ach, Daniel«, sagte Isabelle gequält. »Ja, ich bin stolz auf das Ölgemälde und habe es euch gern gezeigt. Aber alles andere … Das mache ich doch nicht aus Spaß! Du weißt ganz genau, wie wichtig diese Reise für uns ist. Ohne neue Kunden können wir nicht überleben. Ich bin jedenfalls froh, dass Raymond mir so großzügig seine Hilfe anbietet.«
»Großzügige Hilfe!« Der Spott triefte nur so aus Daniels Worten. »Hast du dich noch nie gefragt, warum er das tut? Feininger-Champagner könnte er auch in seinem Geschäft an den Mann bringen, aber nein, er muss dich auf eine lange Reise mitnehmen!« Er riss ein Büschel Gras aus und warf es wütend von sich. »Ich sehe schon genau vor mir, wie er dich angeberisch als › seine Champagnerkönigin‹ präsentieren wird. Ihr zwei in eleganten Hotels, du an seinem Arm …« Seine Stimme klang verzerrt und wütend zugleich.
»Champagnerkönigin – so ein Blödsinn. Wenn, dann bin ich höchstens ein verkleidetes Aschenputtel.« Isabelle lachte künstlich. Es war nicht so, als wäre ihr dieser Gedanke nicht auch schon gekommen. Manchmal schaute Raymond sie sonderbar an, gerade so, als hätte er sich ein wenig in sie verliebt. Und dann seine Bemerkung während des Abendessens kurz vor Weihnachten, die Frau seiner Träume würde er sofort heiraten … Hatte Clara womöglich auch in dieser Hinsicht recht? Und Daniel ebenfalls?
»Falls du es noch nicht gemerkt hast – Raymond ist zu allen Damen gleichermaßen charmant«, erwiderte sie spröde. »Warum sollte er sich ausgerechnet mir gegenüber anders verhalten? Und diese Reise hat er auch nicht extra für mich organisiert, vielmehr hat er sie geplant, um seine Kundenkontakte zu vertiefen. Du siehst wirklich Gespenster.« Noch während sie sprach, umspielte ein kleines Lächeln ihre Lippen. Daniel hörte sich an wie ein eifersüchtiger Ehemann!
Statt zu antworten, schnappte Daniel seinen Rucksack, band ihn auf und packte aus: ein Baguette, ein Stück Käse, Wurst, eine Flasche Champagner und zwei Gläser.
Isabelle runzelte die Stirn, als sie das zweite Glas sah. Hatte er mit ihrem Kommen gerechnet? Oder hatte er vorgehabt, die Brotzeit mit jemand anderem zu teilen? Wer von uns zweien ist denn nun eifersüchtig?, fragte sie sich spöttisch.
Er reichte ihr ein Stück Brot und Wurst und entkorkte die Champagnerflasche. Unwillkürlich musste Isabelle daran zurückdenken, welch lautes Geräusch es immer gegeben hatte, wenn Leon eine Flasche geöffnet hatte. Meist war der Champagner überschäumend aus dem Flaschenhals gelaufen. Daniels Art war eleganter und unaufdringlicher. Er schenkte einen Schluck in sein Glas, roch kurz hinein und hielt die strohgelbe Flüssigkeit gegen das untergehende Sonnenlicht. Zufrieden mit dem, was er sah, nahm er einen Schluck. Erst als auch diese Geschmacksprobe positiv ausfiel, schenkte er für sie beide ein.
Bei jedem anderen hätte Isabelle diese Routine als Pedanterie oder schlimmer noch als Wichtigtuerei ausgelegt, doch bei Daniel sprach aus jeder Geste einzig die Liebe zum Champagner.
»Die Menschen sind selten so, wie sie auf den ersten Blick wirken. Die meisten handeln nicht aus irgendwelchen hehren Beweggründen, sondern nur zu ihrem Nutzen«, sagte er und reichte ihr ein Glas. »Ich möchte einfach nicht, dass dir jemand weh tut.«
»Das weiß ich doch«, erwiderte Isabelle sanft. Sie prosteten sich zu, und die Flüssigkeit rann weich und würzig ihre Kehle hinab.
Es war angenehm, mit Daniel zu schweigen, dachte sie, während sie ins Tal schauten. Und es war angenehm, ihn so nahe bei sich zu spüren. Sein
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