Die Champagnerkönigin
Luft war erfüllt von einem sanften Duft.
Er hatte es geschafft. Er hatte die perfekte Cuvée kreiert. Ein Rosé-Champagner, der leicht und spritzig war. Nun hieß es hoffen und bangen, dass sich die Farbe bei den weiteren Herstellungsschritten nicht mehr veränderte. Seiner Berechnung nach würde die Abfüllung um die zwanzigtausend Flaschen ergeben. Sie würden Isabelle im nächsten oder übernächsten Jahr eine schöne Summe Geld in die Kasse spülen – Geld, das das Weingut im kommenden Jahr dringend für Investitionen benötigte.
Dieser Champagner würde das Weingut Feininger wieder in die ersten Ränge katapultieren, frohlockte Daniel nicht zum ersten Mal. Dorthin, wo sein Platz war. Dorthin, wo es schon einmal gestanden hatte, zu Zeiten seines Vaters nämlich, als noch der Name Lambert die Flaschenetiketten zierte. Namen – für Daniel waren sie im Grunde nicht von Bedeutung. Viel wichtiger war das, was sich in der Flasche befand und was sich später auf dem Gaumen des Genießers abspielte.
Wie sehr hatte sich sein Leben verändert, seit er auf dem Weingut Feininger zu arbeiten begonnen hatte! Hier, wo er seine Kindheit verbracht hatte, auf dem Hof, den sein Vater beim Kartenspiel an Jacques Feininger verloren hatte, kannte er jeden Stein in der Kellerwand. Er kannte jeden Weinberg, jeden Rebstock. Er wusste, wo am späten Nachmittag die Sonne als Erstes verschwand und wo sich die besten Lagen befanden. Das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein, verstärkte sich während seiner vielen Stunden eigenständiger Arbeit im Weinkeller. Und dann gab es noch Isabelle. Wann immer er über die Weinberge spazierte, wann immer er den Hof durchquerte, hielt er nach ihr Ausschau. Sah er sie, machte sein Herz einen Hüpfer. Du bist verliebt wie ein junger Bursche, bespöttelte er sich dann im Stillen. Doch gleichzeitig wusste er, dass seine Gefühle für Isabelle Feininger viel tiefer gingen. Dass es Liebe war.
Er wollte gerade die Kellertreppe erklimmen, als er von oben Licht einfallen sah. Einen Moment später stand Isabelle vor ihm, bleich und übernächtigt und mit einem harten Zug um den Mund, den er noch nicht bei ihr gesehen hatte.
Sein Herz wollte überlaufen vor lauter Liebe, doch er zwang sich zu einem unverbindlichen Lächeln, als er sagte: »Ich wollte dich gerade holen. Die assemblage ist vollendet, morgen beginne ich mit der Flaschenabfüllung. Möchtest du ein Glas probieren?« Er machte eine weitausholende Handbewegung, mit der er sämtliche Kessel einschloss.
Isabelle winkte zerstreut ab. »Später vielleicht. Ich muss mit dir reden. Kannst du nach oben kommen?«
»Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll«, begann Isabelle gedehnt, als sie kurze Zeit später in der Küche saßen. Sie fuhr sich durchs Haar, blieb mit ihrem rechten Zeigefinger in dem nachlässig geflochtenen Zopf hängen. Eine Strähne löste sich, fiel ihr ins Gesicht. Das Rot der Haare auf der fast durchscheinend wirkenden Haut hob ihre Blässe noch stärker hervor. Daniel konnte sich nicht erinnern, je eine schönere Frau gesehen zu haben, und das trotz ihrer offensichtlichen Verzweiflung.
»Warum sagst du nicht einfach, was dich so quält? Du weißt doch, dass du dich immer auf mich verlassen kannst.«
»Aber du dich nicht auf mich!«, platzte sie heraus. »Weil rein gar nichts ›einfach‹ ist in meinem Leben. Immer wenn ich glaube, dass es bergauf geht, versetzt das Schicksal mir eine Ohrfeige, und schon liege ich wieder auf dem Boden.« Tränen stiegen ihr in die Augen, sie wischte sie wütend fort. Mit belegter Stimme sagte sie: »Margerite ist krank. Sehr krank. Sie …«
Stumm hörte Daniel zu, wie sie ihm ihre Besuche bei den Ärzten schilderte. Down-Syndrom – diesen Begriff hatte er noch nie gehört.
»Von nun an muss ich einzig für Margerite da sein, verstehst du?« Sie schaute ihn aus weit aufgerissenen Augen flehentlich an. »Ich weiß, das ist das Letzte, was du von mir hören willst, und ich habe dir gegenüber ein rabenschwarzes Gewissen. Um mir zu helfen, hast du deine Arbeit in Épernay aufgegeben. Gemeinsam wollten wir das Weingut wieder auf Vordermann bringen, doch so, wie es aussieht, wird daraus nichts. Wie soll ich mit einem kranken Kind an eine Verkaufsreise durch halb Europa denken? Wie soll ich die Ruhe aufbringen, stunden-, ach was, tagelang für einen Maler Portrait zu sitzen, um ein neues Etikett für die Flaschen zu bekommen? Eine Schnapsidee!« Verzweifelt warf sie die Hände in die Höhe.
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