Die Champagnerkönigin
garstiges Verhalten entschuldigen wollte.
»Wenn ich ehrlich bin, versetzt mich der Gedanke, meine Heimat zu besuchen, ein wenig in Panik. Wissen Sie, ich habe Berlin einst sozusagen über Nacht verlassen und bin Leon blind gefolgt. Mein Vater, der ganz andere Heiratspläne für mich hatte, sagte sich danach von mir los, und die Berliner Gesellschaft, in die ich hätte einheiraten sollen, hat mein Verhalten bestimmt auch nicht gutgeheißen. Und nun soll ich ausgerechnet an die feine Gesellschaft meinen Champagner verkaufen?«
Raymond, der ihr aufmerksam zugehört hatte, lachte auf. »Um die Gesellschaft brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, die wickeln wir zu zweit um den kleinen Finger. Aber Ihre Eltern … Haben Sie wirklich keinen Kontakt mehr?«
Isabelle nickte unglücklich.
»Das ließe sich ändern«, sagte Raymond gedehnt. »Ein arrangiertes Treffen …«
Isabelle schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.« Sie griff sich an den Hals, als säße dort ein zu enger Kragen, den es zu lockern galt. »Ein Treffen, nach allem, was geschehen ist?«
Raymond lächelte sie nachsichtig an. »Nur eine Idee, mehr nicht. Ich möchte, dass Sie glücklich sind und sich wohl fühlen, alles andere ist unwichtig.«
»Ich bin glücklich. Diese Reise ist wie ein langer schöner Traum. Nach all den Sorgen der letzten Monate hätte ich nicht für möglich gehalten, nochmals so eine Leichtigkeit erleben zu dürfen.« Sie schüttelte den Kopf. »Und das alles habe ich nur Ihnen zu verdanken.« Sie ergriff seine Hand und drückte sie.
Eine Karaffe mit feinem Mineralwasser stand auf dem Nachttisch, daneben ein Teller mit aufgeschnittenem Obst. Wie jeden Abend hatte das Zimmermädchen die Daunendecke für die Nacht zurückgeschlagen – im Hotel Imperial wurde für jeden Komfort der ermüdeten Reisenden gesorgt. Doch Raymond fühlte sich alles andere als müde, er fühlte sich frisch und belebt wie lange nicht mehr. Einen Moment lang überlegte er, ob er nochmals in die Bar hinuntergehen sollte. Ein Cognac würde ihm vielleicht die nötige Bettschwere verleihen. Doch dann entschied er sich anders. Morgen in der Frühe würden sie nach Berlin abreisen, der Tag würde lang und anstrengend werden, es war sinnvoll, eine solche Reise ausgeschlafen anzutreten.
Er wollte gerade ins Bett schlüpfen, als er den cremefarbenen Briefumschlag sah, der neben dem Obstteller lag. Seine Stirnfalten wurden tiefer, als er die Schrift erkannte. Was um alles in der Welt wollte Henriette Trubert von ihm?
Hautvillers am 15 . Mai
Lieber Raymond,
ich hoffe, meine Zeilen erreichen Dich bei bester Gesundheit. Hier in der Champagne läuft alles seinen gewohnten Gang. Letzte Woche war ich in Reims und stattete Deinem Geschäft einen Besuch ab. Madame Sophie, die Du als Aushilfe engagiert hast, gibt sich so steif, als hätte sie einen Stock verschluckt. Ich bezweifle sehr, dass Deine Kunden mit ihr glücklich sind. Und ob Du mit ihren Umsätzen glücklich sein wirst?
Raymond verzog das Gesicht. Madame Sophie war die altjüngferliche Tochter eines Champagnerwinzers. Sie verstand etwas vom Metier, hatte aber wirklich eine sehr spröde Art, die man fast schon als menschenscheu bezeichnen konnte. Nicht gerade ideal bei jemandem, der im Verkauf tätig war. Trotzdem – seine Kunden würden sich daran gewöhnen müssen, sie von nun an öfter im Geschäft anzutreffen, zumindest so lange, bis Raymond Ersatz für sie gefunden hatte. Denn wenn alles so lief, wie er es sich vorstellte, würde er künftig öfter verreisen.
Erinnerst Du Dich noch an unsere gemeinsamen Reisen? Weiter als bis nach Paris haben wir es nie geschafft, aber auch wir verbrachten wunderbare Stunden, nicht wahr?
Warum kam Henriette gerade jetzt mit diesen Geschichten daher? Wurde sie auf ihre alten Tage sentimental? Und überhaupt – warum schrieb sie ihm diesen Brief? Er konnte sich nicht daran erinnern, ihr seine Reiseroute mitgeteilt zu haben, sie musste seine Wiener Adresse also von Madame Sophie erhalten haben. Sonst brachte die alte Jungfer den Mund kaum auf, und nun das! Er las weiter, und schnell wurde ihm klar, was Henriette Trubert zu dem Schreiben getrieben hatte: unsägliche Neugierde. Und Gier.
Ich hoffe, Deine Brautwerbung war inzwischen erfolgreich. Die Vorstellung, wie die junge Witwe Feininger in Deinen Armen liegt, macht mich nämlich sehr glücklich. Du warst zu lange allein, mein Lieber. Vom Alleinsein werden alte Männer seltsam. Außerdem würdest Du Deiner
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