Die Champagnerkönigin
keine Geschäftstermine?«, fragte sie, nachdem sie Lucilles Brieflein zusammengefaltet und in ihrer Handtasche verstaut hatte.
»Von Ihrem Champagnerbestand ist gerade noch ein Drittel übrig, damit wollen Sie doch bestimmt in Ihrer Heimatstadt Berlin ebenso für Furore sorgen wie in München und Wien, oder?«
»Wenn jemand für Furore gesorgt hat, dann doch wohl eher Sie«, antwortete Isabelle zerknirscht. »Ich komme immer mehr zu der Ansicht, dass meine Anwesenheit bei dieser Reise gar nicht nötig wäre. Sie sind es, der die Menschen überzeugt. Sie und Daniels Künste.« Es war nur noch ein Drittel Flaschen übrig? Das bedeutete ja, dass sie den Großteil schon verkauft hatten! Raymond hatte die genauen Zahlen in seinem Auftragsbuch stehen, schließlich bekam er für jede verkaufte Flasche eine Provision – aber natürlich hatte auch sie im Geist grob Buch geführt. Doch dass es schon so viele waren, hätte sie nicht geglaubt. Aufgeregt zerrupfte sie das mürbe Hörnchen auf ihrem Teller.
Raymond schenkte ihr Kaffee nach. »Sie üben sich in falscher Bescheidenheit, meine Liebe. Jeder meiner Kunden hat mir versichert, wie glücklich er sei, die schöne und gescheite Witwe Feininger persönlich kennenlernen zu dürfen.«
Isabelle lächelte. »Streiten wir uns nicht, wer welchen Anteil an unserem Erfolg hat. Hauptsache, die Reise ist erfolgreich!«
»Und das ist sie ohne Zweifel.« Raymond nahm genießerisch einen Schluck Kaffee. »Jedenfalls habe ich heute erst am späten Nachmittag einen Kundentermin, bei dem ich Ihren Champagner jedoch erst gar nicht vorstelle. Heute sind meine anderen Marken an der Reihe. Bis fünf Uhr sind wir also frei wie die Vögel.« Er vollführte mit der Hand eine spielerisch flatternde Bewegung. »Wir können einen Stadtbummel machen, in eins der vielen Museen gehen, wir können der Spanischen Hofreitschule einen Besuch abstatten oder durch den Garten von Schloss Schönbrunn spazieren – sagen Sie einfach, wonach Ihnen der Sinn steht.«
Isabelle lehnte sich auf ihrem weichgepolsterten Stuhl zurück. »Ein freier Tag, einfach fürs Vergnügen«, sagte sie gedankenvoll. »Wie geht das? Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das zuletzt erlebt habe. Zu Hause heißt es immer nur arbeiten, arbeiten, arbeiten. Ist man mit der einer Aufgabe fertig, winkte einem schon die nächste zu.«
»Und dabei sollte eine Dame wie Sie das Leben genießen und nicht ackern wie eine Bäuerin«, stellte Raymond tadelnd fest. »Darf ich einen Vorschlag machen? Lassen wir uns einfach ein wenig treiben. Ich bin überzeugt davon, Wien wird sich uns von seiner schönsten Seite präsentieren!«
Und so war es auch. Sie bummelten über die innere Mariahilfstraße, wo sich ein elegantes Geschäft ans andere reihte. So viele schöne Dinge! Isabelle stieß immer wieder einen Entzückungsschrei aus. Als ihre Füße zu schmerzen begannen, hielten sie eine Droschke an und fuhren ins Hotel Sacher. Sie tranken heißen Kakao, und Raymond nötigte Isabelle zu einem Stück der berühmten Torte.
»Wenn Sie mich weiterhin so mästen, passe ich in keins meiner Kleider mehr«, protestierte sie lachend, doch dann stach sie herzhaft mit ihrer Gabel in den Schokoladenkuchen.
Bei Alfred Gerngroß stöberte Isabelle eine gute Stunde lang durch das riesengroße Stoffangebot. Noch passten ihre Kleider zwar, doch ihre Garderobe, die aus Berliner Zeiten stammte, war leider hoffnungslos altmodisch. Neben den vielen modisch gekleideten Damen war sie sich wie ein hässliches Entlein vorgekommen, das sollte ihr auf ihrer nächsten Reise nicht mehr passieren. Sie hatte sich gerade für einen Taft und einen Seidenstoff entschieden und überlegte laut, welcher Schneiderin in Hautvillers sie die wertvollen Stoffe anvertrauen wollte, als Raymond sie fragte, ob sie nicht besser gleich nach einem fertigen Kleid Ausschau halten wollte. Und so spazierten sie in die Stiftsgasse ins Kaufhaus Herzmansky, wo Isabelle fassungslos vor den Stangen mit Hunderten von Roben stand. Tageskleider, Morgenkleider, festliche Abendroben, feine Seide und warme Wollstoffe – es gab einfach alles. Die passenden Handschuhe, Hüte und Umlegetücher wurden in gläsernen Vitrinen gleich mit präsentiert, sogar Schuhe hatte das Kaufhaus im Angebot. Am liebsten hätte Isabelle alles anprobiert, doch als sie die Preise sah, die sehr dezent am Saum der Kleider angebracht waren, erschrak sie. Ein Kleid kostete mehr als Claudes und Daniels Monatsgehälter
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