Die Champagnerkönigin
etwas war doch undenkbar. Aus diesem Grund hatte sich Isabelle nie Gedanken über Geld gemacht, niemals! Zudem hatten sie in Nothzeit keines benötigt, sondern im Haushalt von Leons Eltern mitgelebt. Hastig rechnete sie im Geiste nach, was sich noch in ihrem Portemonnaie befand. Viel war es nach ihren Einkäufen in Reims nicht mehr.
»Nun schau nicht so entsetzt«, sagte Leon. »Es handelt sich ja nur um eine kurzfristige Ebbe im Geldbeutel. Sobald ich die ersten Rennen gewonnen habe, sieht die Sache wieder anders aus. Du weißt ja, die Siegprämien bei den großen Rennen sind nicht schlecht!«
»Radrennen! Ich kann das Wort nicht mehr hören«, erwiderte sie schroff. »Wir sind jetzt Champagnerwinzer, falls du das vergessen hast. Irgendwo dort unten …« – sie zeigte in Richtung Keller – »liegen bestimmt etliche Flaschen Champagner. Diese gilt es so schnell wie möglich an den Mann zu bringen, dann sind wir unsere Geldsorgen los. Wie du jetzt an irgendwelche Radrennen denken kannst, ist mir wirklich schleierhaft. Am besten gehen wir sofort in Jacques’ Schreibstube und suchen die Adressen seiner Kunden heraus. Dann kannst du sie gleich morgen aufsuchen und ihnen so viele Kisten Champagner wie möglich verkaufen«, sagte sie energisch und erleichtert zugleich. Alles war nur eine Sache von wenigen Tagen. Entschlossen stand sie auf, um die Unterlagen zu suchen.
Doch Leon hielt sie am Arm fest. »Du wirst dich unterstehen, jetzt an die Arbeit zu denken. Dies ist die erste Nacht im neuen Heim!« Er zog sie zu sich und küsste sie leidenschaftlich.
Isabelle spürte das altbekannte Kribbeln in den tieferen Regionen ihres Körpers. Vielleicht hatten die Champagnergeschäfte doch noch bis morgen Zeit?
Am nächsten Tag lachte schon um acht Uhr eine strahlende Sonne vom Himmel und verleitete Isabelle dazu, ein Küchenfenster zu öffnen. Sie trug eins ihrer besten Kleider, ein tiefrotes Samtkleid mit schwarzem Besatz. Sie wollte ihr neues Zuhause so hübsch wie möglich erobern, hatte sie gedacht, nachdem sie sich kurz mit kaltem Wasser gewaschen hatte, und das Kleid aus dem Seidenpapier geschält, in das es während der Reise eingeschlagen gewesen war. Im Sonnenlicht erinnerte Isabelle die Farbe des Kleides an die holländischen Tulpen, die Anfang Mai im Garten ihres Elternhauses tiefrot geblüht hatten.
Vogelzwitschern drang von den kahlen Weinbergen ins Haus und verstärkte die frühlingshafte Stimmung noch weiter, doch der schöne Schein trog, und nach wenigen Minuten kühlte die Küche empfindlich aus. Fröstelnd zog Isabelle ihr Wolltuch enger um die Schultern und schloss das Fenster. Dann wandte sie sich um und betrachtete die Überreste ihres Morgenmahls. Der Einfachheit halber hatten sie es gleich in der Küche statt im Salon eingenommen. Der Kaffee war ein wenig bitter gewesen und das Brot so hart, dass man ewig darauf herumkauen musste. Am Vorabend hatte sie vergessen, es in den extra dafür vorgesehenen Tontopf zurückzulegen, ein Fehler, wie sich herausgestellt hatte. Aber waren das nicht alles Lappalien? In der vergangenen Liebesnacht war ihr Hunger auf andere Art gestillt worden …
Sie war gerade dabei, Wasser fürs Geschirrspülen warm zu machen, als Leon mit zwei dicken Aktenordnern unterm Arm erschien.
»Das musst du dir mal anschauen.« Er schob Teller und Besteck zur Seite, um Platz für die Ordner zu schaffen.
Isabelle wollte protestieren, doch als sie sein Stirnrunzeln sah, schwieg sie.
Leon tippte auf eine aufgeschlagene Seite und sagte: »Allem Anschein nach hat Jacques nur Kunden in Amerika. Schau hier, ein Restaurant Carlisle in Springfield, Missouri, das Hotel Bristol in Knoxville, ein Grand Hotel in Dayton …«
»An der Ostküste liegen diese Städte jedenfalls nicht, sonst hätte man doch die Namen schon einmal gehört«, sagte Isabelle, während sie fieberhaft darüber nachdachte, was das für sie bedeutete.
»Es geht noch weiter. Hier – das Sin City in Cincinnati, ein –«
»Sin City?« Isabelle lachte auf. »Was um alles in der Welt soll denn das sein?«
»Ist doch egal«, winkte Leon unwirsch ab. »Hier – das Park Hotel und das Sweet Joey in Springfield. Lauter Kundschaft in Übersee! Und dort weiß der Teufel wo – Boston und New York sind jedenfalls nicht dabei.« Er schluckte und sein Adamsapfel hüpfte dabei heftig auf und ab. »Und nun? Bedeutet das etwa, ich muss nach Amerika fahren, so wie Adrian Neumann?«
Einen Moment lang schwiegen sie.
Adrian Neumann war
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