Die Champagnerkönigin
Etwas, was einst meiner Familie gehört hatte. Neidisch war ich auf euch, und ich empfand euch als Eindringlinge, am liebsten hätte ich euch den Garaus gemacht. Und als ihr dann ankamt und Leon den großen Sportler spielte und du wie eine Prinzessin durchs Dorf liefst, da sah ich all meine Vorurteile bestätigt. Du in deinen hübschen Kleidern und Leon in seiner Radsportkluft – verwöhnte Städter wart ihr!« Zum ersten Mal, seit sie Isabelles Zimmer betreten hatte, hatte sie deren Aufmerksamkeit erlangt. Lag es an ihrem eindringlichen Ton? Oder daran, dass sie ihr Innerstes nach außen kehrte, was sie höchst selten tat?
Einem eigentümlichen Drang folgend, fuhr Ghislaine fort: »Doch dann hast du mich eines Besseren belehrt. Während dein Mann nur das Fahrradfahren im Kopf hatte, hast du dich in die Arbeit hineingekniet. Wann immer ich auf dem Weg in mein Restaurant war, sah ich dich in den Weinbergen werkeln oder mit einem von Jacques’ Männern irgendwo sitzen. Die Winzer haben mir erzählt, dass du ihnen Löcher in den Bauch gefragt hast. Damit hast du nicht nur mich erstaunt, sondern auch Claude Bertrand, Micheline, Marie und die anderen Nachbarn. Sogar Daniel ist dein Arbeitseifer aufgefallen. Wir begannen uns alle langsam an den Gedanken zu gewöhnen, dass das Weingut bei euch, oder besser gesagt, bei dir doch in guten Händen ist. Und nun?« Anklagend schaute Ghislaine die trauernde Witwe an. »Nun lässt du nicht nur dich hängen, sondern auch uns alle, die wir dir vertraut haben!«
»Isabelle, bitte, Sie müssen aufstehen!« Micheline Guenin war verzweifelt. Mit hastigen Schritten ging sie vom Bett zum Schlafzimmerfenster und zog den Vorhang zur Seite.
»Die Sonne scheint, es ist ein herrlicher Tag! Bevor es zu heiß wird, könnten Sie ein wenig auf der Terrasse sitzen und auf die Weinberge schauen. Die Rosen sind teilweise schon wieder am Verblühen, wollen Sie sie nicht wenigstens noch einmal bewundern? Auf die Rosenblüte hatten Sie sich doch so gefreut, und nun bekommen Sie nichts davon mit.« Als Isabelle nicht antwortete, fuhr Micheline gedehnt fort: »Wir … könnten auch gemeinsam zum Friedhof gehen. Wann immer ich meinen Bruder Albert besuche, laufe ich auch zum Grab Ihres Mannes und stelle ein paar Blumen in die Vase, aber es wäre doch schön, wenn Sie ihn selbst einmal besuchen, oder?«
Der Blick, mit dem Isabelle die Nachbarin bedachte, war unstet und leer.
»Nun … Vielleicht ist ein Besuch am Grab wirklich noch zu schmerzhaft für Sie«, sagte Micheline seufzend. »Dann lassen Sie uns wenigstens einen kleinen Spaziergang durch die Weinberge machen! Sie werden staunen, wie sehr die Trauben inzwischen gewachsen sind. Aus den Stecknadelköpfen wurden kleine Kirschen, und nun haben die Trauben ihre endgültige Größe erreicht. Das bedeutet, die Reifezeit ist nicht mehr weit, verstehen Sie?« Als Isabelle immer noch nicht reagierte, plapperte Micheline weiter: »Erst gestern habe ich eine der Trauben gekostet, dabei müsste ich es wirklich besser wissen. Auch wenn die Ernte naht, so schmecken die Früchte noch immer schrecklich sauer.« Ihr Lachen klang künstlich.
Mit leerem Blick starrte Isabelle auf ihre Hände. Wie lang ihre Fingernägel geworden waren. Rillen hatten sie und weiße Flecken. Wie die Fingernägel einer Leiche.
»Ich habe ein Frühstück zubereitet, süßes Nussbrot und Lavendelhonig aus der Provence – kann ich Sie nicht wenigstens zu ein paar Bissen verführen? Sie bestehen ja nur noch aus Haut und Knochen. Ach Kindchen, was soll ich nur mit Ihnen machen …«
Die Bettdecke. Wann hatte sie angefangen, anders zu riechen? Fort war der Duft nach Apfelblüten vom alten Baum im Garten. Fort auch der herbe Geruch von Liebesnächten. Der grau gewordene Leinenstoff roch nach altem Schweiß. Nach Einsamkeit. Nach einem verwirkten Leben. Danach, dass nichts mehr war wie zuvor.
»Vorhin habe ich Claude getroffen, er muss dringend mit Ihnen sprechen. Der Mann ist am Ende seiner Kräfte, Isabelle! Ich glaube, ihm wächst allmählich alles über den Kopf. Die Pflege der Tiere, die Weinberge, um die er sich auch noch kümmern muss, nun, wo Gustave Grosse bei seiner Familie im Süden ist. Es wäre wirklich gut, wenn Sie wenigstens ein bisschen Anteil am Leben nehmen würden …«
Zum ersten Mal, seit die Nachbarin an diesem Morgen ins Zimmer getreten war, schaute Isabelle auf.
»Gustave Grosse kommt ja wieder. In seiner Abwesenheit soll Claude alles nach seinem Gutdünken
Weitere Kostenlose Bücher