Die Champagnerkönigin
»Manchmal frage ich mich wirklich, ob es nicht doch am besten wäre, Madame Feininger würde verkaufen. Schau dich doch um, nach und nach geht alles wieder vor die Hunde! Die junge Madame lässt sich von ihrer Trauer regelrecht auffressen, bis nichts mehr von ihr übrig ist.«
Claude Bertrand war mindestens so ratlos wie sie selbst, erkannte Micheline. Seufzend sagte sie: »Du hast recht, Isabelle schwindet jeden Tag ein bisschen mehr dahin. Wenn ich ihr etwas zu essen bringe, dreht sie sich weg. Sie habe keinen Appetit, sagt sie. Außer dem Teller Suppe, den Ghislaine ihr allabendlich vorbeibringt, isst sie so gut wie nichts. Und das in ihrem Zustand, eigentlich müsste sie für zwei essen!« Micheline ging an dem Pferd vorbei und setzte sich auf einen der Strohballen, die entlang der Stallwand aufgestapelt waren. »Sind meine Speisen denn weniger schmackhaft als die von Ghislaine?«, fragte sie anklagend.
Claude schaute Micheline über den Rücken des Pferdes an. »Bist du etwa eifersüchtig auf die aufkeimende Freundschaft zwischen den beiden? Sei doch froh, dass Ghislaine ihre unfreundliche Haltung gegenüber Madame Feininger aufgegeben hat! Isabelle kann wirklich jedes Mitgefühl brauchen. Und noch etwas: Dass Madame ein Kind bekommt, ist lediglich eine Vermutung von euch beiden. Ich weiß nichts davon, dass sie für zwei essen sollte.«
»Du hast sie ja auch schon länger nicht mehr gesehen«, erwiderte Micheline seufzend. Und das war auch gut so, dachte sie. Wahrscheinlich wäre Claude bei Isabelle Feiningers Anblick zu Tode erschrocken. Das strähnige ungewaschene Haar, das Blümchenkleid, das sie schon so lange trug, dass es vor Schweiß und Schmutz nur so starrte – die junge Witwe schien jedes Interesse an ihrem Aussehen verloren zu haben.
Einen Moment lang hingen beide ihren Gedanken nach.
Dann schaute Micheline auf. Ihre Augen blitzten wütend, als sie sagte: »Mir geht es schrecklich gegen den Strich, dass Henriette versucht, Isabelles Not auszunutzen. Und weißt du, was mich auch noch furchtbar wütend macht? Dass dieser Faulpelz Gustave Grosse noch immer nicht aus seinem ›wohlverdienten‹ Urlaub zurückgekehrt ist! Hah, wahrscheinlich hat er längst anderswo Arbeit angenommen. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff – heißt es nicht so?«
Erschrocken über die laute Frauenstimme drehte sich der Braune, der bisher ruhig aus seinem Heusack gefuttert hatte, zu ihnen um. Claude tätschelte seinen Hals, dann sagte er grimmig: »Ist dir eigentlich schon mal der Gedanke gekommen, dass der liebe Gustave von jemandem dafür bezahlt wurde, diese Reise anzutreten?«
Micheline schwieg. Bisher hatte sie sich Gedanken dieser Art verboten, aber in Wahrheit traute sie Henriette Trubert alles zu.
»Und in wenigen Wochen beginnt die Traubenernte, ich darf gar nicht daran denken! Bis jetzt ist es mir ja einigermaßen gelungen, den Betrieb auf dem Weingut aufrechtzuerhalten. Aber eine vollständige Ernte zu organisieren und zu überwachen?« Claude schüttelte den Kopf.
Micheline nickte. »Selbst Marie und ich, die wir alte Hasen sind, haben vor jeder neuen Ernte gehörigen Respekt.«
»Wenn es überhaupt eine Chance gibt, das Weingut über die Runden zu bringen, dann brauchen wir einen neuen Kellermeister, und zwar schnell«, sagte Claude.
»Und aus welchem Hut willst du den zaubern?« Micheline schüttelte den Kopf. »Im Augenblick wäre Isabelle schon geholfen, wenn es jemanden gäbe, der gewillt ist, die Dinge in die Hand zu nehmen, bis sie dazu wieder in der Lage ist. Dieser Jemand müsste den Überblick über alles bewahren, er müsste organisieren können und eine gewisse Autorität ausstrahlen, damit ihm die Arbeiter nicht auf dem Kopf herumtanzen. Ein erfahrener Vorarbeiter. Oder ein alter Winzer, der sein Weingut verkauft hat, das Handwerk aber noch immer versteht – so jemanden bräuchten wir!«
»Besser hätte ich es nicht sagen können. Mit jemandem, der das Organisieren wie ein Handwerk beherrscht, wäre vieles einfacher. Natürlich würde ich ihm zur Seite stehen, so gut es geht.« Der Verwalter klopfte seinen Striegel an der Stallwand ab, dann sagte er: »Dass Leons Vater nicht zur Beerdigung gekommen ist, verstehe, wer mag. Ein Winzer aus der Pfalz – der wäre genau der Richtige! Und was ist eigentlich mit den Eltern von Madame Feininger? Heißt es nicht, ihr Herr Vater sei ein erfolgreicher Unternehmer? Berlin ist doch nicht aus der Welt, da sollte man doch annehmen, dass er
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