Die Champagnerkönigin
Doktor bist du überall gern gesehen – was willst du noch?
Lustlos ließ sie sich auf ihren Stuhl sinken und schaute aus dem Fenster. Regen schlug gegen die Fensterscheiben, aus der Dachrinne platschte Wasser auf das Trottoir, die Blüten der gelben Heckenrose neigten sich traurig unter der Regenlast zu Boden.
»Heute Abend kommt Professor Hackestorm zum Essen. Er bringt seine Gattin mit«, ertönte es so plötzlich auf der anderen Tischseite, dass Clara zusammenzuckte.
In der Regel war das Morgenmahl eine schweigsame Angelegenheit, Gerhard zog die Zeitungslektüre einer Konversation mit ihr vor. »Warum sprichst du nicht mit mir?«, hatte sie ihn einst flehentlich gefragt. Doch inzwischen war ihr die Stille lieber. Sie war berechenbar. Und tat nicht weh.
»Ich hoffe doch sehr, dass du diesen Termin nicht wieder vergessen hast, er ist immens wichtig für mich.« Mit prüfendem Blick schaute ihr Mann sie über den Rand seiner Zeitung an.
»Ein dreigängiges Menü, danach Kaffee, Brandy und Konfekt – lauteten nicht so deine Wünsche für den heutigen Abend?«, zählte Clara wie ein Schulmädchen auf, das seine Lektion brav auswendig gelernt hatte. »Ich werde nachher gleich zum Krämer gehen, um alles einzukaufen.« Und danach musste sie noch einmal quer durch die Stadt. Aber davon würde sie Gerhard nichts erzählen. Es gefiel ihm nicht, wenn sie allein unterwegs war.
Als er den Besuch des Ehepaars Hackestorm das erste Mal angekündigt hatte, hatte sie sich sogleich eine Notiz gemacht – er konnte sehr ungehalten werden über ihre Vergesslichkeit.
»Wehe, die Suppe ist wieder so dünn wie gestern Abend. Oder das Fleisch gerät dir mal wieder zu dunkel. Ein gutes Mahl soll Hackestorms wohlgemut stimmen. Ein schlechter Fraß hingegen könnte alles zerstören, worauf ich in den letzten Monaten hingearbeitet habe. Ist dir das bewusst, Clara?«
Sie nickte. Gerhards derzeitig einziges Sinnen und Trachten war es, dass Professor Hackestorm, leitender Chefarzt in der Frauenabteilung der Berliner Charité, ihm seine Patientinnen zur Nachsorge schickte. Nachdem sich ihr Mann entschieden hatte, ausgerechnet die Frauenheilkunde als Spezialgebiet auszuüben, wollte er sich unbedingt einen »großen Namen« darin machen. Wie ihre für den Abend geplante Blumenkohlsuppe Professor Hackestorms Entscheidung beeinflussen sollte, war Clara nicht klar, aber sie würde sich hüten, eine derart spitze Bemerkung zu machen. So etwas bekam ihr nicht gut.
»Und zieh dich ordentlich an. Hackestorms Frau ist ein ausgesprochenes Modepüppchen, sie kommt stets völlig übertrieben daher. Nun ja, in den höheren Kreisen hat man halt seine Moden. Und da kann es nicht angehen, dass du wie eine Dienstmagd herumläufst. Schau dich an – deine Haare strähnig und schmucklos. Und deine Schuhe, sie sehen aus, als hättest du heute früh schon den Garten umgegraben.« Bei den letzten Worten war sein Ton noch tadelnder geworden.
Aber ich bin doch die Dienstmagd!, lag es Clara auf der Zunge zu sagen. Gerhard war der Ansicht, dass sie den Haushalt auch ohne Köchin oder Dienstmädchen bewältigen konnte, lediglich einem Kindermädchen für Matthias hatte er zugestimmt. Seitdem kümmerte sich die rotwangige Christel tagsüber um Matthias. Und das war gut so, denn Clara musste von früh bis spät in Küche, Haus und Waschküche schuften und abends die gepflegte Ehefrau spielen. Ihr Blick wanderte nach unten auf ihre Schuhe. Sie war tatsächlich schon im Garten gewesen, ein paar Rosen schneiden. Doch das war vor dem Regen. Und entgegen Gerhards Behauptung waren ihre Schuhe sauber, kein bisschen Erde oder Schmutz hing daran.
»Ich werde das dunkelblaue Kostüm tragen und dazu Perlen, falls dir das recht ist. Ich könnte allerdings auch –«
»Verschone mich mit Einzelheiten! Wenigstens deine Garderobe wirst du doch wohl allein auswählen können«, knurrte er. »Eins sage ich dir schon jetzt – wenn du dich dieses Mal nicht zusammenreißt, dann reißt bei mir etwas, nämlich mein Geduldsfaden! Wenn ich an die Blamage denke, der du mich bei der Einladung der Nordströms ausgesetzt hast, könnte ich noch immer fuchsteufelswild werden!«
Clara senkte reumütig den Blick.
Das Gartenfest bei den Nordströms. Es war ein herrlicher Sommernachmittag gewesen, Rosenduft hatte die Luft geschwängert, alle Gäste waren gut gelaunt. Ihr rosafarbenes Kleid mit dem gleichfarbigen Hut passte zum Aufzug der anderen geladenen Damen, hatte Clara erleichtert
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