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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Kazallon.«
    Wir steigen beide auf das Oberdeck hinauf, wo der
    Kaufmann und der Ingenieur noch im Gespräch wa-
    ren.Robert Kurtis geht direkt auf sie zu.
    »Sie haben das getan?« fragt er Ruby.
    »Nun ja, das habe ich getan!« antwortet seelenru-
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    hig Ruby, der sich höchstens eines Betrugs schuldig ge-
    macht zu haben glaubt.
    Einen Augenblick erscheint es mir, als wolle Ro-
    bert Kurtis den unseligen Passagier zermalmen, der
    die Tragweite seiner Unklugheit gar nicht zu begreifen
    scheint! Dem zweiten Offizier gelingt es aber, sich zu
    beherrschen, und ich sehe, wie er die Hand auf dem Rü-
    cken ballt, um nicht verleitet zu werden, Ruby bei der
    Gurgel zu packen.
    Dann stellt er mit ruhiger Stimme Ruby einige Fra-
    gen. Dieser bestätigt die von mir gemeldete Tatsache.
    Zwischen seinem Gepäck befindet sich ein Kolli, das
    30 Pfund jener so höchst gefährlichen Substanz ent-
    hält. Der Passagier hat hier mit derselben Nachlässig-
    keit und Unklugheit gehandelt, die, wie man gestehen
    muß, der angelsächsichen Rasse angeboren ist, und hat
    jenen explosiven Körper im Frachtraum des Fahrzeugs
    unterbringen lassen, wie ein Franzose etwa eine Flasche
    Wein. Wenn er den Inhalt dieses Kolli falsch deklariert
    hatte, so kam es daher, daß er die Weigerung des Kapi-
    täns, es mitzunehmen, vorher vollkommen kannte.
    »Nun, nun, das ist doch kein Grund, einen Menschen
    zu hängen! Wenn das Ding Ihnen so sehr unangenehm
    ist, so können Sie es meinetwegen ins Meer werfen.
    Mein Gepäck ist versichert!«
    Bei dieser Antwort kann ich mich nicht mehr zu-
    rückhalten, denn mir fehlt Robert Kurtis’ kaltes Blut,
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    und der Zorn übermannt mich. Bevor mich der zweite
    Offizier daran hindern kann, stürze ich mich auf Ruby
    und schreie:
    »Elender, Sie wissen also wohl nicht, daß Feuer an
    Bord ist!«
    Kaum ist mir das Wort entflohen, da bereue ich es
    schon. Doch es ist zu spät! Die Wirkung dieser Nach-
    richt auf den Kaufmann Ruby ist gar nicht zu beschrei-
    ben. Den Unglücklichen erfaßt eine konvulsivische
    Furcht. Sein Körper zuckt, seine Haare sträuben sich,
    sein Auge weitet sich erschreckend aus, sein Atem wird
    keuchend, wie der eines Asthmatikers, er vermag nicht
    zu sprechen, der Schreck erreicht in ihm seinen Höhe-
    punkt. Plötzlich bewegen sich seine Arme krampfhaft;
    er stiert auf das Verdeck der ›Chancellor‹, das jeden
    Moment in die Luft gehen kann, er läuft vom Oberdeck
    herab und wieder hinauf, durch das ganze Schiff und
    gestikuliert wie ein Wahnsinniger. Endlich kommt ihm
    die Sprache wieder, und seinem Mund entringen sich
    die fürchterlichen Worte:
    »Es ist Feuer an Bord! Es ist Feuer an Bord!«
    Bei diesem Ruf läuft die ganze Mannschaft auf dem
    Verdeck zusammen, offenbar in dem Glauben, daß die
    Flammen einen Weg nach außen gefunden haben und
    es nun Zeit sei, in die Boote zu entfliehen. Die Passa-
    giere kommen hinzu, Mr. Kear, seine Gattin, Miss Her-
    bey, die beiden Letourneur. Robert Kurtis versucht

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    Ruby Ruhe zu gebieten, doch dieser will keine Vernunft
    annehmen.
    Das Chaos erreicht seinen Höhepunkt. Mrs. Kear
    ist bewußtlos auf dem Deck zusammengebrochen. Ihr
    Mann kümmert sich nicht im geringsten um sie und
    überläßt sie der Sorgfalt von Miss Herbey. Die Matro-
    sen haben sich schon an die Winden der Schaluppen ge-
    macht, um diese ins Meer zu bringen.
    Indessen teile ich den Mr. Letourneur mit, was sie
    noch nicht wissen, daß Feuer an Bord ist; der nächste
    Gedanke des Vaters gehört seinem Sohn, den er um-
    schlingt, als wolle er ihn schützen. Der junge Mann be-
    wahrt sein kaltes Blut und beruhigt den Vater durch die
    Versicherung, daß ja keine unmittelbare Gefahr bestehe.
    Robert Kurtis hat mit Unterstützung des Leutnants in-
    zwischen seine Leute wieder zur Ordnung gebracht. Er
    versichert ihnen, daß die Feuersbrunst keine weiteren
    Fortschritte gemacht, daß Passagier Ruby keine Vorstel-
    lung von dem habe, was er tue oder sage, daß man nicht
    übereilt handeln solle und daß man, wenn der Augen-
    blick gekommen, das Schiff verlassen werde . . .
    Der größte Teil der Matrosen hört auf die Stimme
    des zweiten Offiziers, den sie lieben und achten. Dieser
    erreicht bei ihnen, was Kapitän Huntly nicht gelungen
    wäre, und die Schaluppe bleibt auf ihrem Lager.
    Glücklicherweise hat Ruby von dem im Kielraum ein-
    geschlossenen Pikrat nicht weiter gesprochen. Wenn die
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    Mannschaft die ganze Wahrheit

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