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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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wie-
    derfinden; hier zeigt sich dieselbe Anordnung konzent-
    rischer Prismen, die von der Art der Erstarrung des Ba-
    salts herrührt; dieselbe Decke schwarzer Balken, deren
    Fugen mit einer gelblichen Masse verkittet erscheinen;
    dieselbe Reinheit der Kristallkanten, wie sie der Meißel
    eines Bildhauers nicht sauberer herzustellen vermöchte,
    endlich dasselbe Klingen in den tönenden Basalten, aus
    denen die gälische Volkssage Harfen der Schatten Fin-
    gals gemacht hat. Auf Staffa bildet aber das Meer den
    Boden der Höhle, der hier nur von hohen Wogen er-
    reicht werden kann, wo eine Schicht von Basaltschäften
    einen festen Grund darstellt.
    »Übrigens«, bemerkt André Letourneur, »ist die
    Grotte auf Staffa eine ungeheure gotische Kathedrale,
    diese hier aber nur eine Kapelle zu jener. Wer hätte je-
    doch ein solches Wunder auf einem unbekannten Riff
    des Ozeans zu finden erwartet?«
    Nach einstündigem Ausruhen in der Ham-Rock-
    Grotte gehen wir am Ufer des Eilands lang und kom-
    men zur ›Chancellor‹ zurück. Robert Kurtis wird von
    den Resultaten unseres Ausflugs in Kenntnis gesetzt
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    und verzeichnet auf der Karte das Eiland unter dem
    ihm von André Letourneur gegebenen Namen.
    Die folgenden Tage haben wir niemals versäumt, ei-
    nen Spaziergang nach der Ham-Rock-Grotte zu machen,
    in der wir so manche Stunde verbringen. Auch Robert
    Kurtis besuchte sie, doch ist er jetzt mit hunderterlei an-
    deren Dingen zu sehr beschäftigt, um zur Bewunderung
    der Natur gestimmt zu sein. Falsten begab sich nur ein-
    mal dahin, um die Natur des Gesteins kennenzulernen,
    und mit der für Schönheiten an sich unempfindlichen
    Ruhe des Geologen einige Brocken loszubrechen. Mr.
    Kear hat sich darum keine Umstände machen wollen, er
    ist an Bord geblieben. Mrs. Kear habe ich das Angebot
    gemacht, uns bei einer solchen Exkursion zu begleiten,
    aber die Unannehmlichkeit, sich nach dem Boot zu be-
    geben und vielleicht einiger Anstrengung ausgesetzt zu
    sein, hat sie veranlaßt, es abzuschlagen.
    Mr. Letourneur hat auch Miss Herbey gefragt, ob sie
    Lust habe, das Riff zu besuchen. Das junge Mädchen
    glaubte dazu ja sagen zu dürfen, glücklich, der launi-
    schen Tyrannei ihrer Herrin, wenn auch nur für eine
    kurze Stunde, zu entfliehen. Als sie aber Mrs. Kear um
    die Erlaubnis bittet, das Schiff verlassen zu dürfen,
    schlägt diese es ihr rundweg ab.
    Mich ärgert das, und ich lege bei Mrs. Kear ein Wort
    für Miss Herbey ein. Ich habe zwar meine Not mit jener,
    da ich aber früher schon Gelegenheit hatte, der Egois-
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    tin einige Dienste zu leisten, und sie nicht weiß, ob sie
    meiner vielleicht später wieder bedarf, gibt sie endlich
    meinen Bitten nach.
    Miss Herbey begleitet uns also nun mehrere Male
    beim Spaziergang über die Felsen. Öfter fischen wir
    auch am Ufer des Eilands und verzehren heiter ein Früh-
    stück in der Grotte, wozu die Basaltharfen im Wind tö-
    nen. Wir sind selbst ganz beglückt über das Vergnügen
    Miss Herbeys, sich einige Stunden frei zu fühlen. Das
    Eiland ist gewiß nur klein, aber niemals ist dem jungen
    Mädchen etwas in der Welt größer erschienen. Auch
    wir lieben dieses dürre, trostlose Riff, und bald gibt es
    keinen Stein mehr, den wir nicht kennten, keinen Pfad,
    den wir nicht fröhlich gewandelt wären. Im Vergleich
    zur ›Chancellor‹ ist es immer ein großes Gebiet, und ich
    weiß bestimmt, daß wir es zur Stunde der Abfahrt nur
    ungern verlassen werden.
    Bezüglich der Insel Staffa teilt uns André Letourneur
    noch mit, daß sie der Familie MacDonald gehöre, die
    sie für den jährlichen Zins von 12 Pfund Sterling* ver-
    pachtet hat.
    »Nun, meine Herren«, begann darauf Miss Herbey,
    »glauben Sie, daß man für diese hier mehr als eine halbe
    Krone verlangen würde?«
    * 240 Mark.

    — 111 —
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    »Keinen Pfennig, Miss«, antwortete ich lachend.
    »Hätten Sie Lust, sie zu pachten?«
    »Nein, Mr. Kazallon«, erwidert das junge Mädchen
    mit einem unterdrückten Seufzer, »und doch ist hier
    vielleicht der einzige Ort, an dem ich glücklich gewe-
    sen bin!«
    »Und ich auch!« sagt André halblaut.
    Welch heimliches Leiden spricht aus dieser Antwort
    Miss Herbeys! Das junge Mädchen in ihrer Armut, ohne
    Eltern oder Freunde hat noch nirgends ein Glück – das
    Glück einiger flüchtiger Minuten – gefunden, als auf ei-
    nem unbekannten Felsen des Atlantischen Ozeans!
    19
    6. bis 15. November. – Während der 5 ersten Tage

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