Die Chancellor
Frachtraum
sinkt immer mehr, und die Leute setzen die Entladung
rüstig fort.
»Es wird nun wahrscheinlich«, sagt Robert Kurtis zu
uns, »daß wir bis zu der Havarie hinunter gelangen und
sie vom Inneren aus wieder ausbessern können. Freilich
wäre es geratener, das Schiff kielzuholen, doch fehlen
mir dazu gänzlich die Hilfsmittel. Ich würde mich da-
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von auch durch die Befürchtung abhalten lassen, daß
schlechtes Wetter einträte, während das Schiff auf der
Seite läge. Nichtsdestoweniger glaube ich Ihnen versi-
chern zu können, daß der Zugang des Wassers auf ge-
eignete Weise verschlossen werden wird, und daß wir
in nicht zu ferner Zeit und unter Verhältnissen, die eine
genügende Sicherheit garantieren, nach der nächsten
Küste absegeln können.«
Nach zweitägiger Arbeit war das Wasser zum größ-
ten Teil ausgepumpt, und die Entladung der letzten Bal-
len der Fracht ging ohne Schwierigkeit vonstatten. Auch
wir haben bei den Pumpen jetzt mit Hand anlegen müs-
sen, um die Mannschaft abzulösen, und haben das ge-
wissenhaft getan. Trotz seiner Schwäche hat sich auch
André Letourneur uns angeschlossen, und jeder erfüllt
seine Pflicht nach besten Kräften.
Doch, das war eine anstrengende Arbeit; wir ver-
mochten sie nicht lange fortzusetzen, ohne einmal aus-
zuruhen. Die fortwährende auf- und abgehende Bewe-
gung brach uns fast die Arme, und ich verstehe recht
gut, daß die Matrosen sich gern von ihr wegzustehlen
suchen. Wir befinden uns dabei noch unter günstigen
Verhältnissen, da das Schiff auf festem Grund liegt und
unter unseren Füßen kein Abgrund gähnt. Wir vertei-
digen jetzt nicht unser Leben gegen das anstürmende
Meer und bekämpfen kein Wasser, das ebenso, wie es
ausgeschöpft wird, immer wieder nachdringt! Gebe der
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Himmel, daß wir nie auf einem sinkenden Schiff eine
solche Prüfung auszuhalten haben.
20
15. bis 20. November. – Heute endlich hat man den
Frachtraum eingehender untersuchen können; endlich
ist das Kolli mit dem Pikrat ganz hinten an einer Stelle
aufgefunden worden, die das Feuer glücklicherweise
nicht erreicht hat. Das Kolli zeigt sich unversehrt, nicht
einmal durch das Wasser hat sein Inhalt Schaden ge-
nommen, und man bringt es an einem sicheren Platz an
der Spitze des Eilands unter. Warum es nicht sofort ins
Meer geworfen wurde? – Ich weiß es nicht; mit einem
Wort: es ist nicht geschehen.
Robert Kurtis und Daoulas haben bei ihrer Untersu-
chung das Deck und seine Tragbalken weniger zerstört
gefunden, als man erwartete. Die intensive Hitze, der
sie ausgesetzt gewesen sind, hat sie zwar verzogen, ohne
sie tief anzunagen, und die Wirkung des Feuers scheint
sich mehr gegen die Seiten des Schiffsrumpfs geäußert
zu haben.
Wirklich sind die Weger* auf eine große Strecke
hin von den Flammen verzehrt; da und dort ragen die
Köpfe verkohlter Holzpflöcke hervor, und leider ist das
* Eine Art Futterdielen.
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ganze Rippenwerk sehr tiefgehend ergriffen worden.
Das Werg an den Stoßverbindungen und in den Fugen
muß bald verbrannt gewesen sein, und man darf es als
ein reines Wunder betrachten, daß das Fahrzeug sich
nicht schon längst geöffnet hat.
Man muß zugeben, daß das mißliche Umstände sind.
Die Beschädigungen sind tatsächlich so ernster Natur,
daß Robert Kurtis, wenn er sich jetzt auf einer Insel und
nicht auf einem, jeden Augenblick dem Wogenschwall
preisgegebenen Riff befände, gar nicht zögern würde,
das ganze Schiff zu demolieren, und daraus ein kleine-
res, aber verläßlicheres zu bauen.
Robert Kurtis ist sich jedoch über die Situation völlig
klar; er läßt uns alle, Mannschaften und Passagiere, auf
dem Deck der ›Chancellor‹ zusammentreten.
»Meine Freunde«, beginnt er, »unsere Havarien er-
weisen sich weit bedeutender, als sie vorher angenom-
men wurden, und der Rumpf des Schiffes ist ganz be-
sonders schwer betroffen. Da uns einerseits jedes Mittel
abgeht, jenen wieder zu reparieren, und wir anderer-
seits auf diesem Eiland, nur abhängig von der Gnade
des Windes, keine Zeit haben, ein anderes Fahrzeug zu
erbauen, so geht mein Vorschlag dahin: wir verstopfen
das Leck so gut wie nur möglich, und suchen den nächs-
ten Hafen zu erreichen. Wir sind nur 800 Meilen von
der Küste von Paramaribo, das den nördlichen Teil von
Holländisch-Guyana bildet, entfernt und können dort
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bei einigermaßen günstigem Wind
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