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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Freunde?«
    »Gewiß, Mr. Kazallon«, erwiderte Mr. Letourneur,
    »denn es ist eine unabweisliche Pflicht, sich selbst zu
    helfen; dennoch tut André sehr recht daran, sein Ver-
    trauen auf Gott zu setzen. Wenn sich der Mensch auf
    das Meer hinauswagt, wendet er die ihm von Natur ver-
    liehenen Fähigkeiten in weitestem Umfang an; auf dem
    grenzenlosen Ozean fühlt er aber auch, wenn die Ele-
    mente sich entfesseln, wie zerbrechlich das Fahrzeug,
    das ihn trägt, wie schwach und ohnmächtig er selbst ist!
    Deshalb meine ich, sollte die Devise des Seemanns lau-
    ten: Vertrauen zu sich selbst und Glauben an Gott!«
    »Wie wahr ist das, Mr. Letourneur«, habe ich geant-
    wortet. »Auch glaube ich, es wird nur wenige Seeleute
    geben, deren Herzen religiösen Eindrücken hartnäckig
    verschlossen sind!«
    So sprechend untersuchen wir die Felsmassen, die die
    Basis des Eilands bilden, mit aller Sorgfalt, und über-
    zeugen uns immer mehr von dessen ganz neuerlichem
    Ursprung. Nirgends findet sich eine Muschel oder ein
    Tangbüschel an die Basaltwände geheftet. Ein Liebha-
    ber der Naturkunde möchte bei der Durchsuchung die-
    ser Steinhaufen schwerlich auf seine Kosten kommen,
    hier, wo weder Tier- noch Pflanzenreich ihren Stempel
    aufgedrückt haben. Schalentiere fehlen ebenso vollstän-
    dig wie Wasserpflanzen. Noch hat der Wind kein Sa-
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    menkörnchen hierher geweht und haben die Seevögel
    hier kein Obdach gesucht. Dem Geologen allein böte
    sich vielleicht Stoff zu interessanten Forschungen über
    dieses basaltische Gebilde, das die Spuren seines plu-
    tonischen Herkommens noch unverwischt an der Stirn
    trägt.
    Eben jetzt erreicht unser Boot die Südspütze des Ei-
    lands, neben der die ›Chancellor‹ aufgefahren ist. Ich
    schlage meinen Begleitern vor, an Land zu gehen, sie
    gehen mit großem Vergnügen darauf ein.
    »Falls das Eiland wieder untergehen sollte«, sagt der
    junge André lachend, »müssen ihm menschliche Wesen
    wenigstens einen Besuch abgestattet haben!«
    Das Boot landet, und wir betreten den Basaltfelsen.
    André geht bei dem ziemlich bequem zu ersteigenden
    Steinboden voraus; der junge Mann braucht keinen
    Arm, der ihn stützte. Sein Vater bleibt etwas hinter ihm,
    in meiner Nähe, zurück, und so ersteigen wir das Riff
    auf einem sanften Abhang, der zu seinem Gipfel empor-
    führt.
    In einer Viertelstunde legen wir die Entfernung bis
    dahin zurück und setzen uns alle drei auf eine Basalt-
    säule, die den höchsten Felsen des Eilands krönt. An-
    dré Letourneur zieht dann ein Notizbuch aus der Ta-
    sche und beginnt, das Riff, dessen Ränder sich von dem
    grünlichen Wasser deutlich vor unseren Augen abhe-
    ben, sorgsam abzuzeichnen.

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    — 107 —
    Der Himmel ist klar, und das jetzt niedrige Meer ent-
    blößt auch die letzten Felsvorsprünge im Süden, die eine
    schmale Straße zwischen sich lassen, die die ›Chancel-
    lor‹ vor dem Auffahren passiert hat.
    Die Form des ganzen Riffs erscheint sehr eigentüm-
    lich und erinnert lebhaft an die eines »Yorker Schin-
    kens«, dessen mittlerer Teil bis zu der Höhe anschwillt,
    die wir jetzt einnehmen.
    Nachdem André die Umrisse des Eilands zu Papier
    gebracht hat, sagt sein Vater:
    »Du zeichnest da ja einen Schinken, mein Kind!
    »Jawohl, Vater, aber einen Schinken aus Basalt, dessen
    Größe wohl auch einen Riesen zufriedenstellen würde,
    und wenn Kapitän Kurtis zustimmt, werden wir das Riff
    ›Ham-Rock‹ (d.h. Schinkenfels) taufen.«
    »Herrlich«, rufe ich, »ein gut erfundener Name! Das
    Schinkenfels-Riff ! Mögen sich ihm die Seefahrer immer
    in respektvoller Entfernung halten, denn ihre Zähne
    sind nicht hart genug, es anzubeißen!«
    An der Südspitze des Eilands ist die ›Chancellor‹ auf-
    gefahren, d.h. auf dem Knochen oder Stiel des Schin-
    kens und in der kleinen Ausbuchtung, die seine Biegung
    bildet. Sie neigt sich gerade jetzt sehr stark nach Steuer-
    bord, da eben tiefe Ebbe ist.
    Nach Vollendung der Skizze durch André Letourneur
    steigen wir über eine andere schiefe, nach Westen zu ab-
    fallende Ebene wieder herab und treffen bald auf eine
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    hübsche, niedliche Grotte. Zuerst möchte man sie für
    ein Werk der Architektur halten, und sie ähnelt sehr den
    von der Natur in den Hebriden geschaffenen, und spe-
    ziell der Grotte auf der Insel Staffa. Die Herren Letour-
    neur, die die Fingalshöhle besucht haben, wollen diese,
    wenn auch in kleinerem Maßstab, hier vollständig

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