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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Wind.
    Jetzt gilt es! Die Flut steht. Passagiere und Matrosen
    sind an den Balken der Spille. Robert Kurtis befindet
    sich auf dem Oberdeck zur Beobachtung der Segel, der
    Leutnant auf dem Vorderkastell, der Hochbootsmann
    am Steuer.
    Die ›Chancellor‹ erzittert von einigen Stößen, und
    ein wenig hebt sie auch das zum Glück ruhige Meer.
    »Nun vorwärts, meine Freunde«, ruft Robert Kur-
    tis mit seiner ruhigen, vertrauenerweckenden Stimme,
    »jetzt mit vereinten Kräften – los!«
    Die Balken der Spille werden in Bewegung gesetzt,
    daß das Holz ächzt, die angezogenen Ketten scharren
    und klirren in den Klüsen. Da erhebt sich etwas Wind,
    und weil das Schiff ihm nicht nachgeben und sich
    fortbewegen kann, biegen sich die Masten unter sei-
    nem Druck. Wir gewinnen an die 20 Fuß. Ein Matrose
    stimmt eines jener monotonen Lieder an, deren Rhyth-
    mus die Gleichzeitigkeit der Bewegungen sichert. Wir
    verdoppeln unsere Anstrengungen, die ›Chancellor‹ er-
    zittert . . .
    Vergeblich; das Meer sinkt schon wieder. Wir kom-
    men nicht hindurch.
    Auf der schmalen Felskante kann aber das Schiff un-
    möglich gelassen werden, da es bei voller Ebbe zerbre-
    — 123 —
    chen müßte. Auf Befehl des Kapitäns werden die Segel
    schleunigst wieder eingezogen und der hinter uns ver-
    senkte Anker soll nun in Anspruch genommen werden.
    Kein Augenblick ist jetzt zu verlieren. Man dreht rück-
    wärts, es sind Augenblicke der entsetzlichsten Angst . . .
    Doch die ›Chancellor‹ gleitet auf dem Kiel und gelangt
    in das Bassin, jetzt sein Gefängnis, zurück.
    »Nun, Kapitän«, fragt da der Hochbootsmann, »wie
    werden wir durchkommen?«
    »Ich weiß es noch nicht«, antwortet Robert Kurtis,
    »aber wir müssen hindurch.«
    21
    21. bis 23. November. – In der Tat ist es notwendig, die-
    ses beschränkte Bassin, und zwar sobald wie möglich,
    zu verlassen. Das Wetter, das uns während des ganzen
    Monats November begünstigt hat, droht umzuschlagen.
    Seit gestern ist das Barometer gesunken und rings um
    den Ham-Rock geht die See höher. Das Eiland bietet
    den Windstößen zu wenig Widerstand; die ›Chancellor‹
    müßte hier ohne Zweifel zertrümmert werden.
    Während der Ebbe am heutigen Abend haben wir,
    Robert Kurtis, Falsten, der Hochbootsmann, der Zim-
    mermann und ich, uns nach der jetzt freiliegenden
    Basaltbarriere begeben. Ein Passieren ist nur zu er-
    zwingen, wenn die Felskante in einer Breite von etwa
    — 124 —
    10 und einer Länge von 6 Fuß mit der Spitzhacke be-
    arbeitet wird. Eine Tieferlegung von 8 bis 9 Zoll muß
    für die ›Chancellor‹ schon das nötige Wasser schaffen,
    und wenn man diesem kleinen Kanal mit der nötigen
    Vorsicht folgt, kann die ›Chancellor‹ ihn ohne Schaden
    zu nehmen durchfahren und dicht außerhalb in tiefes
    Fahrwasser gelangen.
    »Dieser Basalt ist aber so hart wie Granit«, bemerkt
    der Hochbootsmann, »und das wird um so mehr eine
    lange Zeit beanspruchende Arbeit werden, als sie nur
    während der Tiefebbe, d.h. während 2 Stunden von 24,
    vorgenommen werden kann.«
    »Ein Grund mehr, Hochbootsmann, keine Sekunde
    zu verlieren«, erwidert ihm Robert Kurtis.
    »Ach, Kapitän«, sagt Daoulas, »einen Monat über
    werden wir damit zu tun haben! Ging’ es denn gar nicht
    an, die Felsen zu sprengen? Pulver ist ja an Bord.«
    »Zu dem Zweck zu wenig!« erklärte der Hochboots-
    mann.
    Die Situation wird sehr ernst. Einen Monat lang Ar-
    beit! Vor Verlauf eines Monats wird aber das Schiff
    durch die Wellen zerstört sein.
    »Wir haben ja etwas Besseres, als Pulver«, sagt da
    Falsten.
    »Und was?« fragt Robert Kurtis mit einer Wendung
    nach dem Ingenieur.
    »Das Natron-Pikrat!« antwortet der Ingenieur.
    — 125 —
    Das Natron-Pikrat, wahrhaftig! Das von dem un-
    glücklichen Ruby hereingeschmuggelte Kolli. Die ex-
    plosive Substanz, die nah daran gewesen ist, das Schiff
    zu zersplittern, soll nun dazu dienen, unser Fahrthin-
    dernis zu beseitigen!
    Ein Sprengloch in den Basalt, und die Felskante exis-
    tiert nicht mehr!
    Das Pikratkolli ist wie gesagt auf dem Riff an siche-
    rer Stelle niedergelegt worden. Es darf als ein Glück be-
    trachtet werden, daß man es nach seiner Entfernung aus
    dem Frachtraum nicht ins Meer geworfen hat.
    Die Matrosen holen Spitzhauen herbei, und Daoulas
    beginnt unter Leitung Falstens einen Minengang in der-
    jenigen Richtung, die den umfassendsten Effekt zu er-
    zielen verspricht, auszuarbeiten. Alles berechtigt zu der
    Hoffnung, daß der

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