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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Gang während der Nacht vollendet
    werden wird und daß morgen mit Tagesanbruch nach
    erfolgter erfolgreicher Explosion die Durchfahrt freige-
    legt sein werde.
    Bekanntlich ist die Pikrinsäure ein kristallinischer
    Körper von bitterem Geschmack, den man aus Stein-
    kohlenteer gewinnt und der mit Natron eine gelbge-
    färbte Verbindung, eben jenes Natron-Pikrat, bildet. Die
    explosive Gewalt dieser Substanz erreicht zwar die der
    Schießbaumwolle noch nicht, übertrifft jedoch die des
    gewöhnlichen Pulvers erheblich. Seine Entzündung er-
    folgt schon durch einen heftigen, kurzen Stoß, wir wer-

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    den sie aber auch durch Zündpillen leicht bewerkstelli-
    gen können.
    Daoulas hat zwar, so gut wie seine Leute, tüchtig ge-
    arbeitet, bei Tagesanbruch ist das Sprengloch aber noch
    weit von seiner Vollendung entfernt. Wirklich kann da-
    ran nur zur Zeit der tiefsten Ebbe, d.h. immer nur eine
    Stunde lang gearbeitet werden. Vier Gezeiten werden
    vorübergehen müssen, jenem die gewünschte Tiefe zu
    geben.
    Erst am Morgen des 23. ist die mühsame Arbeit voll-
    bracht. Die Basaltmauer ist mit einem schräg nach un-
    ten verlaufenden Sprengloch versehen, hinreichend für
    gut 10 Pfund des explosiven Salzes, und diese Mine soll
    sofort geladen werden.
    Gerade vor dem Einbringen des Pikrats in das Loch
    bemerkt Falsten:
    »Wir sollten unser Sprengmittel mit gewöhnlichem
    Pulver vermischen, das erlaubt uns, die Mine durch
    eine Lunte in Brand zu setzen, was jedenfalls geeigneter
    erscheint, als die Explosion einer Zündpille durch ei-
    nen Schlag zu veranlassen. Übrigens hat man sich über-
    zeugt, daß die gleichzeitige Anwendung von Pulver und
    Pikrat bei harten Felsarten bessere Resultate erzielt. Das
    seiner Natur nach sehr plötzlich wirkende Pikrat arbei-
    tet dabei, wie es scheint, dem Pulver vor, das sich lang-
    samer entzündend den Basalt dann vollends zur Seite
    wirft.«
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    Sehr oft spricht der Ingenieur Falsten nicht, aber
    wenn er es tut, sind es Worte von Gehalt. Sein Rat wird
    befolgt. Man vermengt die beiden Substanzen und
    bringt nach vorhergegangener Einführung einer Lunte
    die Mischung in das Sprengloch, das sorgfältig ver-
    schlossen wird.
    Die ›Chancellor‹ liegt weit genug von der Mine ent-
    fernt, so daß für sie von der Explosion nichts zu fürch-
    ten ist; doch haben sich Passagiere und Mannschaften
    aus Vorsicht bis nach den entfernteren Teilen des Riffs
    und in die Grotte zurückgezogen, und auch Mr. Kear
    hat sich bequemen müssen, trotz seiner Einwände das
    Schiff zu verlassen.
    Falsten entzündet die Lunte, die eine Brenndauer von
    10 Minuten haben muß, und gesellt sich dann zu uns.
    Die Explosion erfolgt. Sie ist dumpf und weniger laut
    gewesen, als man erwartet hätte, doch soll das bei allen
    tief angelegten Minen der Fall sein.
    Wir eilen hinzu . . . Die Operation ist vollkommen ge-
    glückt. Die Basaltwand ist buchstäblich zerstäubt, und
    jetzt durchsetzt ein kleiner Kanal, den die Flut eben an-
    zufüllen beginnt, das Hindernis und gewährt uns unbe-
    hinderten Durchgang.
    Ein allgemeines Hurra! Die Kerkertür ist offen, wir
    brauchen nur zu entfliehen!
    Nach eingetretenem Hochwasser wird die ›Chancel-

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    lor‹ mittels seiner Anker angeholt, passiert den Kanal
    und schwimmt im freien Wasser!
    Noch einen Tag lang müssen wir uns jedoch bei dem
    Eiland aufhalten, denn in seinen jetzigen Verhältnis-
    sen vermag das Schiff nicht zu segeln und muß erst
    noch Ballast einnehmen, um seine Stabilität zu sichern.
    Während der nächsten 24 Stunden beschäftigt sich die
    Mannschaft also mit der Einladung von Steinen und
    derjenigen Baumwollballen, die am wenigsten Havarie
    erlitten haben.
    Heute unternehmen Mr. Letourneur, Miss Herbey
    und ich noch einen letzten Spaziergang durch die Fel-
    sen des Riffs, das wir nie wiedersehen sollen und auf
    oder neben dem wir 3 Wochen verlebten. Der Name der
    ›Chancellor‹, der des Riffs selbst, das Datum der Stran-
    dung werden von André in eine Wand der Grotte kunst-
    gerecht eingemeißelt, und wir rufen ein letztes Lebe-
    wohl dem dürren Felsen zu, auf dem wir manche Tage
    und zwei von uns vielleicht bis dahin die glücklichsten
    ihres Lebens verbrachten!
    Endlich am 24. November schmückt sich die ›Chan-
    cellor‹ zur Zeit der Morgenflut mit ihren unteren Segeln,
    und 2 Stunden später verschwindet die letzte Spitze des
    Ham-Rock unter dem Horizont.
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    22
    24.

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