Die Chancellor
Gang während der Nacht vollendet
werden wird und daß morgen mit Tagesanbruch nach
erfolgter erfolgreicher Explosion die Durchfahrt freige-
legt sein werde.
Bekanntlich ist die Pikrinsäure ein kristallinischer
Körper von bitterem Geschmack, den man aus Stein-
kohlenteer gewinnt und der mit Natron eine gelbge-
färbte Verbindung, eben jenes Natron-Pikrat, bildet. Die
explosive Gewalt dieser Substanz erreicht zwar die der
Schießbaumwolle noch nicht, übertrifft jedoch die des
gewöhnlichen Pulvers erheblich. Seine Entzündung er-
folgt schon durch einen heftigen, kurzen Stoß, wir wer-
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den sie aber auch durch Zündpillen leicht bewerkstelli-
gen können.
Daoulas hat zwar, so gut wie seine Leute, tüchtig ge-
arbeitet, bei Tagesanbruch ist das Sprengloch aber noch
weit von seiner Vollendung entfernt. Wirklich kann da-
ran nur zur Zeit der tiefsten Ebbe, d.h. immer nur eine
Stunde lang gearbeitet werden. Vier Gezeiten werden
vorübergehen müssen, jenem die gewünschte Tiefe zu
geben.
Erst am Morgen des 23. ist die mühsame Arbeit voll-
bracht. Die Basaltmauer ist mit einem schräg nach un-
ten verlaufenden Sprengloch versehen, hinreichend für
gut 10 Pfund des explosiven Salzes, und diese Mine soll
sofort geladen werden.
Gerade vor dem Einbringen des Pikrats in das Loch
bemerkt Falsten:
»Wir sollten unser Sprengmittel mit gewöhnlichem
Pulver vermischen, das erlaubt uns, die Mine durch
eine Lunte in Brand zu setzen, was jedenfalls geeigneter
erscheint, als die Explosion einer Zündpille durch ei-
nen Schlag zu veranlassen. Übrigens hat man sich über-
zeugt, daß die gleichzeitige Anwendung von Pulver und
Pikrat bei harten Felsarten bessere Resultate erzielt. Das
seiner Natur nach sehr plötzlich wirkende Pikrat arbei-
tet dabei, wie es scheint, dem Pulver vor, das sich lang-
samer entzündend den Basalt dann vollends zur Seite
wirft.«
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Sehr oft spricht der Ingenieur Falsten nicht, aber
wenn er es tut, sind es Worte von Gehalt. Sein Rat wird
befolgt. Man vermengt die beiden Substanzen und
bringt nach vorhergegangener Einführung einer Lunte
die Mischung in das Sprengloch, das sorgfältig ver-
schlossen wird.
Die ›Chancellor‹ liegt weit genug von der Mine ent-
fernt, so daß für sie von der Explosion nichts zu fürch-
ten ist; doch haben sich Passagiere und Mannschaften
aus Vorsicht bis nach den entfernteren Teilen des Riffs
und in die Grotte zurückgezogen, und auch Mr. Kear
hat sich bequemen müssen, trotz seiner Einwände das
Schiff zu verlassen.
Falsten entzündet die Lunte, die eine Brenndauer von
10 Minuten haben muß, und gesellt sich dann zu uns.
Die Explosion erfolgt. Sie ist dumpf und weniger laut
gewesen, als man erwartet hätte, doch soll das bei allen
tief angelegten Minen der Fall sein.
Wir eilen hinzu . . . Die Operation ist vollkommen ge-
glückt. Die Basaltwand ist buchstäblich zerstäubt, und
jetzt durchsetzt ein kleiner Kanal, den die Flut eben an-
zufüllen beginnt, das Hindernis und gewährt uns unbe-
hinderten Durchgang.
Ein allgemeines Hurra! Die Kerkertür ist offen, wir
brauchen nur zu entfliehen!
Nach eingetretenem Hochwasser wird die ›Chancel-
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lor‹ mittels seiner Anker angeholt, passiert den Kanal
und schwimmt im freien Wasser!
Noch einen Tag lang müssen wir uns jedoch bei dem
Eiland aufhalten, denn in seinen jetzigen Verhältnis-
sen vermag das Schiff nicht zu segeln und muß erst
noch Ballast einnehmen, um seine Stabilität zu sichern.
Während der nächsten 24 Stunden beschäftigt sich die
Mannschaft also mit der Einladung von Steinen und
derjenigen Baumwollballen, die am wenigsten Havarie
erlitten haben.
Heute unternehmen Mr. Letourneur, Miss Herbey
und ich noch einen letzten Spaziergang durch die Fel-
sen des Riffs, das wir nie wiedersehen sollen und auf
oder neben dem wir 3 Wochen verlebten. Der Name der
›Chancellor‹, der des Riffs selbst, das Datum der Stran-
dung werden von André in eine Wand der Grotte kunst-
gerecht eingemeißelt, und wir rufen ein letztes Lebe-
wohl dem dürren Felsen zu, auf dem wir manche Tage
und zwei von uns vielleicht bis dahin die glücklichsten
ihres Lebens verbrachten!
Endlich am 24. November schmückt sich die ›Chan-
cellor‹ zur Zeit der Morgenflut mit ihren unteren Segeln,
und 2 Stunden später verschwindet die letzte Spitze des
Ham-Rock unter dem Horizont.
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