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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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sich.
    Nachmittags haben einige Wolken den Himmel be-
    deckt, und die Hitze ist weniger stark gewesen. Der See-
    gang hat das Floß mehr umhergeworfen, und zwei- oder
    dreimal schlug eine Welle auf es hinauf. Zum Glück hat
    der Zimmermann aus früheren Schiffsplanken eine Art
    Schanzkleidung errichten können, die uns bei einer
    Höhe von 2 Fuß besser gegen das Meer schützt.
    Auch die Fässer mit den Lebensmitteln und die Was-
    sertonnen werden mit doppelten Tauen noch sicherer
    befestigt. Wenn eine Sturzsee sie uns entführte, würden
    wir in die ärgste Not geraten, und niemand vermag an
    einen solchen Unfall ohne Schaudern zu denken!
    Am 18. haben die Matrosen einige, auch mit dem Na-
    men Sargasso bezeichnete Seepflanzen aufgefischt, die
    denen auf unserer Fahrt von den Bermudas bis nach
    Ham-Rock angetroffenen sehr ähnlich sind. Sie beste-
    hen aus langen Schlinggewächsen mit einem zuckerhal-
    tigen Saft, und ich überrede meine Gefährten zu einem
    Versuch, die Stengel zu kauen. Sie tun es und bekennen
    mir, das Gefühl von wohltuender Erfrischung des Gau-
    mens und der Lippen davon zu haben.
    Sonst ereignet sich an diesem Tag nichts Neues; nur
    fällt es mir auf, daß einige Matrosen, besonders Owen,
    Burke, Flaypol, Wilson und der Neger Jynxtrop, immer
    untereinander zu zischeln haben, ohne daß mir klar
    — 187 —
    wird, worum es geht. Ich bemerke auch, daß sie sofort
    schweigen, wenn sich ihnen einer der Offiziere oder der
    Passagiere nähert. Robert Kurtis hat schon vor mir die-
    selbe Beobachtung gemacht. Diese heimlich geführten
    Gespräche mißfallen ihm, und er nimmt sich vor, auf
    jene Leute ein wachsames Auge zu haben. Der Neger
    Jynxtrop und der Matrose Owen sind bekanntermaßen
    zwei Spitzbuben, denen man nicht viel trauen darf, da
    sie die anderen gern zu verführen suchen.
    Am 19. wird die Hitze ganz unerträglich, und es zeigt
    sich kein Wölkchen am Himmel. Der schwache Luftzug
    schwellt die Segel nicht mehr, das Floß bleibt auf einer
    Stelle. Einige Matrosen sind ins Meer gegangen, und die-
    ses Bad hat ihnen tatsächlich Erleichterung verschafft,
    indem es ihren Durst einigermaßen verminderte. Doch
    ist es nicht ungefährlich, sich in die von Haien unsicher
    gemachten Wellen zu wagen, und keiner von uns hat
    Lust verspürt, es jenen Leichtsinnigen nachzumachen.
    Wer weiß, ob sich das in Zukunft nicht ändert? Wenn
    man das unbewegte Floß sieht, die langen ungefurch-
    ten Wellen des Ozeans, das schlaffe Segel am Mast, liegt
    da nicht die Befürchtung nahe, daß diese Verhältnisse
    lange Zeit so fortdauern könnten?
    Die Gesundheit Leutnant Walters flößt uns von Tag
    zu Tag mehr Sorge ein. Der junge Mann wird von ei-
    nem schleichenden Fieber verzehrt, das ihm in regel-
    losen Anfällen zusetzt. Vielleicht könnte schwefelsau-
    — 188 —
    res Chinin es unterdrücken. Doch, ich wiederhole es,
    das Oberdeck ist so rasch verschlungen worden, daß
    der Arzneikasten dabei mit verlorenging. Übrigens lei-
    det der junge Mann offenbar an der Verzehrung, und
    hat diese unheilbare Krankheit seit einiger Zeit in ihm
    reißende Fortschritte gemacht. Schon die äußerlichen
    Symptome setzen das außer Zweifel. Walter quält sich
    jetzt mit einem trockenen Husten, sein Atem ist kurz,
    und besonders gegen Morgen befällt ihn ein reichliches
    Schwitzen; er magert sichtlich ab, seine Nase wird spit-
    zer, die hervorstehenden Backenknochen stechen durch
    ihre umschriebene Röte von dem bleichen Gesicht
    auffallend ab; seine Wangen sind hohl, die Lippen et-
    was verzogen, die Bindehaut des Auges leuchtend und
    schwach bläulich gefärbt. Doch selbst wenn der Leut-
    nant jetzt noch in besseren Zuständen wäre, dürfte sich
    die Heilkunde ohnmächtig erweisen gegenüber einem
    Leiden, das kein Erbarmen kennt.
    20. – Derselbe Zustand der Atmosphäre, dieselbe Un-
    beweglichkeit des Floßes. Die Sonnenstrahlen durch-
    dringen auch unser Zelt, und wir schmachten und
    seufzen bei der unbändigen Glut. Mit welcher Unge-
    duld erwarten wir den Augenblick, in dem der Boots-
    mann die schmale Wasserration verteilt, und mit wel-
    cher Gier verschlingen wir dann die wenigen Tropfen
    der lauwarmen Flüssigkeit! Wer niemals vor Durst am
    — 189 —
    Verschmachten war, vermag sich diese Höllenqual gar
    nicht vorzustellen.
    Leutnant Walter ist sehr verdurstet und leidet schwe-
    rer unter diesem Wassermangel, als irgendein anderer.
    Ich hab’ es gesehen, daß Miss Herbey ihm fast die ganze
    empfangene

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