Die Chancellor
sich.
Nachmittags haben einige Wolken den Himmel be-
deckt, und die Hitze ist weniger stark gewesen. Der See-
gang hat das Floß mehr umhergeworfen, und zwei- oder
dreimal schlug eine Welle auf es hinauf. Zum Glück hat
der Zimmermann aus früheren Schiffsplanken eine Art
Schanzkleidung errichten können, die uns bei einer
Höhe von 2 Fuß besser gegen das Meer schützt.
Auch die Fässer mit den Lebensmitteln und die Was-
sertonnen werden mit doppelten Tauen noch sicherer
befestigt. Wenn eine Sturzsee sie uns entführte, würden
wir in die ärgste Not geraten, und niemand vermag an
einen solchen Unfall ohne Schaudern zu denken!
Am 18. haben die Matrosen einige, auch mit dem Na-
men Sargasso bezeichnete Seepflanzen aufgefischt, die
denen auf unserer Fahrt von den Bermudas bis nach
Ham-Rock angetroffenen sehr ähnlich sind. Sie beste-
hen aus langen Schlinggewächsen mit einem zuckerhal-
tigen Saft, und ich überrede meine Gefährten zu einem
Versuch, die Stengel zu kauen. Sie tun es und bekennen
mir, das Gefühl von wohltuender Erfrischung des Gau-
mens und der Lippen davon zu haben.
Sonst ereignet sich an diesem Tag nichts Neues; nur
fällt es mir auf, daß einige Matrosen, besonders Owen,
Burke, Flaypol, Wilson und der Neger Jynxtrop, immer
untereinander zu zischeln haben, ohne daß mir klar
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wird, worum es geht. Ich bemerke auch, daß sie sofort
schweigen, wenn sich ihnen einer der Offiziere oder der
Passagiere nähert. Robert Kurtis hat schon vor mir die-
selbe Beobachtung gemacht. Diese heimlich geführten
Gespräche mißfallen ihm, und er nimmt sich vor, auf
jene Leute ein wachsames Auge zu haben. Der Neger
Jynxtrop und der Matrose Owen sind bekanntermaßen
zwei Spitzbuben, denen man nicht viel trauen darf, da
sie die anderen gern zu verführen suchen.
Am 19. wird die Hitze ganz unerträglich, und es zeigt
sich kein Wölkchen am Himmel. Der schwache Luftzug
schwellt die Segel nicht mehr, das Floß bleibt auf einer
Stelle. Einige Matrosen sind ins Meer gegangen, und die-
ses Bad hat ihnen tatsächlich Erleichterung verschafft,
indem es ihren Durst einigermaßen verminderte. Doch
ist es nicht ungefährlich, sich in die von Haien unsicher
gemachten Wellen zu wagen, und keiner von uns hat
Lust verspürt, es jenen Leichtsinnigen nachzumachen.
Wer weiß, ob sich das in Zukunft nicht ändert? Wenn
man das unbewegte Floß sieht, die langen ungefurch-
ten Wellen des Ozeans, das schlaffe Segel am Mast, liegt
da nicht die Befürchtung nahe, daß diese Verhältnisse
lange Zeit so fortdauern könnten?
Die Gesundheit Leutnant Walters flößt uns von Tag
zu Tag mehr Sorge ein. Der junge Mann wird von ei-
nem schleichenden Fieber verzehrt, das ihm in regel-
losen Anfällen zusetzt. Vielleicht könnte schwefelsau-
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res Chinin es unterdrücken. Doch, ich wiederhole es,
das Oberdeck ist so rasch verschlungen worden, daß
der Arzneikasten dabei mit verlorenging. Übrigens lei-
det der junge Mann offenbar an der Verzehrung, und
hat diese unheilbare Krankheit seit einiger Zeit in ihm
reißende Fortschritte gemacht. Schon die äußerlichen
Symptome setzen das außer Zweifel. Walter quält sich
jetzt mit einem trockenen Husten, sein Atem ist kurz,
und besonders gegen Morgen befällt ihn ein reichliches
Schwitzen; er magert sichtlich ab, seine Nase wird spit-
zer, die hervorstehenden Backenknochen stechen durch
ihre umschriebene Röte von dem bleichen Gesicht
auffallend ab; seine Wangen sind hohl, die Lippen et-
was verzogen, die Bindehaut des Auges leuchtend und
schwach bläulich gefärbt. Doch selbst wenn der Leut-
nant jetzt noch in besseren Zuständen wäre, dürfte sich
die Heilkunde ohnmächtig erweisen gegenüber einem
Leiden, das kein Erbarmen kennt.
20. – Derselbe Zustand der Atmosphäre, dieselbe Un-
beweglichkeit des Floßes. Die Sonnenstrahlen durch-
dringen auch unser Zelt, und wir schmachten und
seufzen bei der unbändigen Glut. Mit welcher Unge-
duld erwarten wir den Augenblick, in dem der Boots-
mann die schmale Wasserration verteilt, und mit wel-
cher Gier verschlingen wir dann die wenigen Tropfen
der lauwarmen Flüssigkeit! Wer niemals vor Durst am
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Verschmachten war, vermag sich diese Höllenqual gar
nicht vorzustellen.
Leutnant Walter ist sehr verdurstet und leidet schwe-
rer unter diesem Wassermangel, als irgendein anderer.
Ich hab’ es gesehen, daß Miss Herbey ihm fast die ganze
empfangene
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