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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Saal wird nicht rumgealbert, hier werden keine blöden Witze gerissen. Sie sollen diese Leichen und alle Leichenteile mit Respekt behandeln. Wenn die Sektionen abgeschlossen sind, werden die Überreste verbrannt und mit Würde beigesetzt.« Er drehte sich um und sah Moore in die Augen. »So wird das in meinem Labor gehandhabt.«
    »Und was hat das alles mit Warren Hoyt zu tun?«
    »Sehr viel.«
    »Der Grund für seinen Studienabbruch?«
    »Ja.« Kahn wandte sich wieder zum Fenster.
    Moore wartete, den Blick auf den Rücken des Professors geheftet. Er wollte ihm Zeit geben, die passenden Worte zu finden.
    »Eine Sektion«, sagte Kahn, »ist ein langwieriger Prozess. Manche Studenten werden innerhalb der vorgegebenen Zeit nicht mit den Aufgaben fertig. Manche brauchen zusätzlich Zeit, um sich komplizierte anatomische Zusammenhänge noch einmal vor Augen zu führen. Deshalb gewähre ich ihnen jederzeit Zugang zum Labor. Sie haben alle einen Schlüssel zu diesem Gebäude, und sie können, wenn sie wollen, auch mitten in der Nacht hierher kommen, um zu arbeiten. Manche tun das tatsächlich.«
    »Hat Warren das auch getan?«
    Eine Pause. »Ja.«
    Ein schrecklicher Verdacht beschlich Moore, und seine Nackenhaare begannen sich zu sträuben.
    Kahn ging zu einem Aktenschrank, öffnete eine Schublade und begann die dicht gepackten Akten zu durchsuchen.
    »Es war an einem Sonntag. Ich war übers Wochenende weggefahren, und an jenem Abend war ich noch ins Labor gekommen, um ein Musterexemplar für den Unterricht am Montag zu präparieren. Sie müssen wissen, dass manche von diesen jungen Leuten sich beim Sezieren sehr ungeschickt anstellen und regelrecht Hackfleisch aus ihren Objekten machen. Ich versuche also immer eine gute Sektion zu Demonstrationszwecken bereitzuhalten, um ihnen die anatomischen Details zeigen zu können, die sie bei ihren eigenen Leichen vielleicht schon zerstört haben. Wir nahmen gerade das System der Fortpflanzungsorgane durch, und die Studenten hatten bereits damit begonnen, diesen Bereich zu sezieren. Ich weiß noch, dass es sehr spät war, als ich zum Campus fuhr; schon nach Mitternacht. Ich sah Licht im Labor und dachte, es sei wohl nur ein übereifriger Student, der sich hier die Nacht um die Ohren schlug, um gegenüber seinen Kommilitonen einen Vorsprung zu haben. Ich betrat das Gebäude, ging den Flur entlang und öffnete die Tür zum Labor.«
    »Warren Hoyt war hier«, riet Moore.
    »Ja.« Kahn hatte gefunden, was er in der Aktenschublade gesucht hatte. Er nahm die Mappe heraus und wandte sich zu Moore. »Als ich sah, was er da tat, da – nun ja, da verlor ich einfach die Beherrschung. Ich packte ihn am Hemdkragen und stieß ihn gegen das Waschbecken. Ich ging nicht eben sanft mit ihm um, das gebe ich zu, aber ich war so wütend, dass ich einfach nicht anders konnte. Ich werde immer noch wütend, wenn ich nur daran denke.« Er atmete tief aus, doch selbst heute, nach fast sieben Jahren, gelang es ihm noch kaum, sich zu beruhigen. »Nachdem – nachdem ich ordentlich auf ihn eingeschrien hatte, zerrte ich ihn hier in mein Büro. Ich befahl ihm, sich hinzusetzen und eine Erklärung zu unterschreiben, wonach er mit Wirkung von acht Uhr am folgenden Tag aus diesem Institut ausscheiden würde. Ich würde nicht von ihm verlangen, irgendwelche Gründe anzugeben, doch wenn er nicht unterschriebe, würde ich mit meinem Bericht über das, was ich im Labor gesehen hatte, an die Öffentlichkeit gehen. Natürlich war er einverstanden. Er hatte keine Wahl. Er nahm das Ganze auch erstaunlich gelassen hin. Das schien mir überhaupt das Merkwürdigste an ihm – nichts brachte ihn aus der Fassung. Er ging völlig ruhig und rational damit um. Aber so war Warren. Sehr vernunftgesteuert. Nie regte er sich über irgendetwas auf. Er war fast …« Kahn zögerte. »Fast wie eine Maschine.«
    »Und was genau haben Sie gesehen? Was hat er hier im Labor gemacht?«
    Kahn reichte Moore die Aktenmappe. »Es ist alles hier drin niedergeschrieben. Ich habe es all die Jahre bei den Akten behalten, für den Fall, dass Warren irgendwann rechtliche Schritte einleiten würde. Wissen Sie, heutzutage können die Studenten einen ja für alles Mögliche verklagen. Ich wollte meine Erwiderung parat haben, falls er je versuchen sollte, wieder an dieser Fakultät zugelassen zu werden.«
    Moore nahm die Mappe. Auf dem Deckel stand einfach nur »Hoyt, Warren«. Sie enthielt drei maschinengeschriebene Bogen.
    »Warren hatte eine weibliche

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