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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Spitze frei, da schoss auch schon das Blut aus dem Einstichloch hervor. Augenblicklich rammte Catherine die Spitze des Katheters in die Öffnung.
    »Den Ballon füllen!«, befahl Peter.
    Die Schwester drückte den Kolben der Spritze herunter und injizierte zehn Kubikzentimeter Kochsalzlösung in den Ballon am Ende des Foley-Katheters.
    Jetzt zog Peter an dem Katheter, wodurch dieser gegen die Innenwand des Vorhofs gedrückt wurde. Der Blutstrom versiegte. Nur noch wenige Tropfen sickerten heraus.
    »Werte?«, rief Catherine.
    »Systolischer immer noch bei fünfzig. Das Null-Negativ-Blut ist da. Wir hängen es jetzt ein.«
    Mit immer noch pochendem Herzen sah Catherine Peter an. Er blinzelte ihr durch die Schutzbrille zu.
    »Na, war das ein Spaß?«, meinte er. Er griff nach der Klemme mit der Herznadel. »Darf ich dir die Ehre überlassen?«
    »Klar doch.«
    Er reichte ihr den Nadelhalter. Sie würde die Ränder des Einstichs zusammennähen und dann den Katheter herausziehen, bevor sie das Loch gänzlich schloss. Bei jedem Stich, den sie nähte, fühlte sie Peters anerkennenden Blick auf sich ruhen. Merkte, wie sie vor Stolz über den Erfolg rot anlief. Sie spürte es in den Knochen: Dieser Patient würde durchkommen.
    »Der Tag fängt gut an, was?«, sagte er. »Gleich einen Brustkorb aufreißen, das macht Spaß.«
    »Diesen Geburtstag werde ich nicht so schnell vergessen.«
    »Mein Angebot für heute Abend gilt immer noch. Wie sieht’s aus?«
    »Ich habe Bereitschaft.«
    »Ich werde Ames überreden, für dich einzuspringen. Komm schon. Wir gehen was Nettes essen und dann tanzen.«
    »Ich dachte, das Angebot wäre ein Flug in deiner Maschine?«
    »Alles, wozu du Lust hast. Von mir aus lass uns Sandwichs machen. Ich bringe die Erdnussbutter mit.«
    »Ha! Ich wusste ja schon immer, dass du dich nicht lumpen lässt.«
    »Catherine, ich meine es ernst.«
    Sie hörte den veränderten Ton seiner Stimme und hob die Augen, um seinem unverwandten Blick zu begegnen. Plötzlich fiel ihr auf, dass es im OP mucksmäuschenstill geworden war. Alle lauschten gebannt, alle wollten wissen, ob die unnahbare Dr. Cordell nun endlich dem Charme des Dr. Falco erliegen würde.
    Sie nähte noch einen weiteren Stich und dachte dabei, wie sehr sie Peter als Kollegen mochte, wie sehr sie ihn respektierte und er sie. Sie wollte nicht, dass sich daran irgendetwas änderte. Sie wollte diese kostbare Beziehung nicht durch einen verhängnisvollen Schritt in Richtung Intimität aufs Spiel setzen.
    Aber wie sehr sie die Zeiten vermisste, als sie es noch genießen konnte, abends auszugehen! Als ein Abend noch etwas war, auf das man sich freuen konnte, anstatt sich davor zu fürchten.
    Immer noch war es still. Alles wartete.
    Endlich blickte sie zu ihm auf. »Du kannst mich um acht abholen.«
     
    Catherine hatte sich ein Glas Merlot eingeschenkt. Nun stand sie am Fenster und nippte dann und wann an dem Wein, während sie nachdenklich in die Nacht hinausschaute. Sie konnte Lachen hören, und sie sah die Menschen unten auf der Commonwealth Avenue vorbeispazieren. Die schicke Newbury Street war nur einen Block entfernt, und an einem Freitagabend im Sommer war diese Ecke der Back Bay ein wahrer Touristenmagnet. Catherine hatte sich aus genau diesem Grund dazu entschieden, in die Back Bay zu ziehen: Der Gedanke, dass um sie herum Menschen waren – wenn auch nur Fremde –, wirkte beruhigend auf sie. Wenn sie die Musik und das Lachen hörte, wusste sie, dass sie nicht allein, nicht isoliert war.
    Und doch stand sie nun hier, versteckt hinter ihrem verriegelten Fenster, trank mutterseelenallein ihren Wein und versuchte sich weiszumachen, dass sie wieder bereit war, in die Welt dort draußen hinauszugehen.
    Eine Welt, die Andrew Capra mir gestohlen hat.
    Sie legte die Hand an die Fensterscheibe, drückte ihre gespreizten Finger dagegen, als wolle sie mit Gewalt aus diesem sterilen Gefängnis ausbrechen.
    Mit einer entschlossenen Geste leerte sie ihr Weinglas und stellte es auf dem Fensterbrett ab. Ich werde nicht immer ein Opfer bleiben, dachte sie. Ich werde ihn nicht gewinnen lassen.
    Sie ging in ihr Schlafzimmer und begutachtete die Kleider in ihrem Schrank. Schließlich entschied sie sich für ein grünes Seidenkleid und zog es über. Wie lange war es her, dass sie es zuletzt getragen hatte? Sie wusste es nicht mehr.
    Im Nebenzimmer verkündete eine muntere Stimme aus ihrem Computer: »Sie haben Post!« Sie ignorierte die Nachricht und ging ins Bad, um

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