Die Chirurgin
geschrieben: »An Catherine Cordell. Geburtstagsgrüße von A.C.«
Andrew Capra, dachte Rizzoli.
»Sie haben ihn nicht geöffnet?«, fragte Moore.
»Nein, ich habe ihn gleich wieder hingelegt, auf meinen Schreibtisch. Und habe Sie angerufen.«
»Braves Mädchen.«
Rizzoli hielt seine Antwort für herablassend, doch Catherine schien es ganz und gar nicht so zu empfinden. Sie schenkte ihm ein angespanntes Lächeln. Irgendetwas lief zwischen Moore und Catherine ab; ein Blick, eine warme Strömung; und Rizzoli registrierte es mit einem plötzlichen Gefühl quälender Eifersucht. Zwischen den beiden hat sich schon mehr abgespielt, als ich geglaubt hatte.
»Er fühlt sich leer an«, sagte Moore. Mit seinen behandschuhten Händen löste er den Schnürverschluss. Rizzoli legte rasch einen Bogen weißes Papier auf den Schreibtisch, um den Inhalt aufzufangen. Er öffnete die Verschlussklappe und drehte den Umschlag um.
Strähnen von seidigem rotbraunem Haar glitten heraus und blieben in einem schimmernden Häufchen auf dem weißen Papier liegen.
Ein eiskalter Schauer lief Rizzoli über den Rücken. »Das sieht nach Menschenhaar aus.«
»O Gott. O mein Gott … «
Rizzoli wandte sich um und sah Catherine entsetzt zurückweichen. Dann fiel ihr Blick wieder auf die Strähnen, die aus dem Umschlag gefallen waren. Es sind ihre. Es sind Catherines Haare.
»Catherine.« Moores Stimme war sanft und beruhigend.
»Vielleicht sind es ja gar nicht Ihre.«
Sie sah ihn mit angstgeweiteten Augen an. »Und wenn doch? Wie hat er …«
»Haben Sie eine Haarbürste in Ihrem Krankenhausspind? Oder in Ihrem Büro?«
»Moore«, sagte Rizzoli. »Sehen Sie sich doch diese Haare an. Die wurden nicht aus einer Bürste gezogen. Die sind an der Wurzel abgeschnitten worden.« Sie wandte sich zu Catherine. »Wer hat Ihnen zuletzt die Haare geschnitten?«
Langsam trat Catherine auf den Schreibtisch zu und starrte die abgeschnittenen Haare an wie eine giftige Schlange.
»Ich weiß, wann er es getan hat«, sagte sie leise.
»Wann war das?«
»Es war in dieser Nacht …« Sie sah Rizzoli mit ungläubiger Miene an. »In Savannah.«
Rizzoli legte den Hörer auf und sah Moore an. »Detective Singer hat es bestätigt. Ihr wurde eine Haarsträhne herausgeschnitten.«
»Warum steht davon nichts in Singers Bericht?«
»Cordell hat es erst am zweiten Tag ihres Krankenhausaufenthalts bemerkt, als sie in den Spiegel schaute. Da Capra tot war und kein Haar am Tatort gefunden worden war, nahm Singer an, jemand vom Krankenhauspersonal hätte die Haare abgeschnitten. Vielleicht während der Behandlung in der Notaufnahme. Cordells Gesicht war ziemlich lädiert, erinnern Sie sich? Vielleicht hatte man in der Notaufnahme etwas Haar abgeschnitten, um ihre Kopfwunden reinigen zu können.«
»Hat Singer je nachgeprüft, ob es jemand vom Krankenhaus gewesen war?«
Rizzoli warf ihren Bleistift hin und seufzte. »Nein. Er ist der Sache nicht weiter nachgegangen.«
»Er hat es einfach auf sich beruhen lassen? Und es in seinem Bericht nicht erwähnt, weil es keinen Sinn ergab?«
»Es ergibt ja auch keinen Sinn! Warum hat man die Haare nicht am Tatort gefunden, bei der Leiche?«
»Catherine hat große Erinnerungslücken, was diese Nacht betrifft. Das Rohypnol hat bei ihr einen ausgedehnten Filmriss verursacht. Capra hat möglicherweise das Haus verlassen und ist später wieder zurückgekehrt.«
»Okay. Aber jetzt kommt die Frage aller Fragen. Capra ist tot. Wie ist das Souvenir in die Hände des Chirurgen gelangt?«
Darauf wusste Moore keine Antwort. Zwei Killer, einer lebend, einer tot. Was verband diese beiden Monster miteinander? Es war mehr als nur psychische Energie; inzwischen war eine physische Dimension hinzugekommen. Etwas, was sie sehen, was sie berühren konnten.
Er blickte auf die beiden Plastikbeutel der Spurensicherung herab. Der eine war mit Nicht identifizierte Haare gekennzeichnet. Der zweite enthielt eine Vergleichsprobe von Catherines Haar. Er hatte selbst die kupferfarbene Strähne abgeschnitten und sie in den verschließbaren Beutel gelegt. Solch eine Haarsträhne stellte in der Tat ein verlockendes Souvenir dar. Haare waren etwas sehr Persönliches. Eine Frau trägt sie immer am Leib, Tag und Nacht. Es hat nicht nur seine individuelle Farbe und Beschaffenheit, es bewahrt auch den Duft seiner Trägerin. Die Quintessenz einer Frau. Kein Wunder, dass Catherine so entsetzt auf die Erkenntnis reagiert hatte, dass ein Mann, den sie nicht
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