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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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kannte einen Studenten von der Emory University, einen brillanten jungen Mann, der nur einen einzigen Fehler begangen hatte, und dieser Fehler hatte das Ende seiner Karriere bedeutet. Es war nicht recht, dass eine ganze Karriere von Catherines Entscheidung abhängen sollte. Jeder sollte eine zweite Chance bekommen.
    Sie versuchte ihm gut zuzureden, doch sie hörte den Zorn in seiner Stimme anschwellen, sah, wie seine Hände zitterten. Schließlich ging sie zur Toilette, um ihm Zeit zu geben, sich zu beruhigen.
    »Und als Sie von der Toilette zurückkommen?«, fragte Polochek. »Was passiert in dem Film? Was sehen Sie?«
    »Andrew ist ruhiger. Nicht mehr so wütend. Er sagt, er versteht meinen Standpunkt. Er lächelt mich an, während er sein Bier austrinkt.«
    »Er lächelt?«
    »Eigenartig. Ein sehr eigenartiges Lächeln. So wie das, mit dem er mich im Krankenhaus angeschaut hatte.«
    Moore konnte hören, wie ihr Atem sich beschleunigte. Selbst als distanzierte Beobachterin, die eine Szene in einem imaginären Film sah, war sie nicht immun gegen das herannahende Grauen.
    »Was passiert dann?«
    »Ich schlafe ein.«
    »Sehen Sie das auf der Leinwand?«
    »Ja.«
    »Und dann?«
    »Ich sehe nichts mehr. Die Leinwand ist leer.«
    Das Rohypnol. Sie hat keine Erinnerungen an diese Phase.
    »Also gut«, sagte Polochek. »Überspringen wir die schwarze Stelle im Film. Gehen wir weiter zur nächsten Szene. Zum nächsten Bild, das auf der Leinwand erscheint.«
    Catherine atmete immer schneller; sie war sichtlich erregt.
    »Was sehen Sie?«
    »Ich – ich liege auf meinem Bett. In meinem Zimmer. Ich kann meine Arme und Beine nicht bewegen.«
    »Warum nicht?«
    »Ich bin ans Bett gefesselt. Meine Kleider sind verschwunden, und er liegt auf mir. Er ist in mir drin. Er bewegt sich in mir …«
    »Andrew Capra?«
    »Ja. Ja …« Sie atmete jetzt stoßweise, die Angst schnürte ihr die Kehle zu.
    Moores Hände ballten sich zu Fäusten, und sein eigener Atem ging schneller und schneller. Er musste gegen die Versuchung ankämpfen, an das Fenster zu hämmern und die Sache augenblicklich zu beenden. Er konnte es kaum noch ertragen, weiter zuzuhören. Sie durften sie nicht zwingen, die Vergewaltigung noch einmal zu durchleben.
    Aber Polochek war sich der Gefahr bereits bewusst, und er beeilte sich, sie von der qualvollen Erinnerung an diese Tortur wegzuführen.
    »Sie sitzen immer noch in diesem Sessel, Catherine«, sagte er. »Sie sind in Sicherheit, dort in diesem Zimmer mit der Kinoleinwand. Es ist nur ein Film, Catherine. Es ist eine andere Frau, der das zustößt. Sie selbst sind in Sicherheit. Außer Gefahr. Sie haben alles im Griff.«
    Ihr Atem wurde wieder ruhiger, verlangsamte sich auf einen stetigen Rhythmus. Auch Moore beruhigte sich.
    »Gut. Lassen Sie uns den Film ansehen. Achten Sie besonders darauf, was Sie selbst tun. Nicht Andrew. Erzählen Sie mir, was als Nächstes passiert.«
    »Die Leinwand ist wieder schwarz. Ich sehe gar nichts.«
    Das Rohypnol wirkt immer noch.
    »Spulen Sie vor, überspringen Sie diese schwarze Passage. Gehen Sie bis zum nächsten Bild, das Sie sehen können. Was ist es?«
    »Licht. Ich sehe Licht…«
    Polochek war einen Moment lang still. »Ich möchte, dass Sie den Zoom aufziehen, Catherine. Ich möchte, dass Sie ein Stück zurückgehen, um einen größeren Ausschnitt des Zimmers zu sehen. Was ist da auf der Leinwand?«
    »Da liegen Sachen. Auf dem Nachttisch.«
    »Was für Sachen?«
    »Instrumente. Ein Skalpell. Ich sehe ein Skalpell.«
    »Wo ist Andrew?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Er ist nicht im Zimmer?«
    »Er ist weggegangen. Ich höre Wasser laufen.«
    »Was geschieht als Nächstes?«
    Sie atmete wieder schneller, ihre Stimme klang gehetzt.
    »Ich zerre an den Fesseln. Versuche mich zu befreien. Ich kann meine Füße nicht bewegen. Aber meine rechte Hand – das Seil um mein Handgelenk ist gelockert. Ich ziehe. Ich ziehe und zerre. Mein Handgelenk blutet.«
    »Andrew ist noch nicht zurückgekommen?«
    »Nein. Ich höre ihn lachen. Ich höre seine Stimme. Aber sie kommt von irgendwo anders im Haus.«
    »Was passiert jetzt mit dem Seil?«
    »Es löst sich. Das Blut hat es schlüpfrig gemacht, und meine Hand gleitet heraus…«
    »Was tun Sie dann?«
    »Ich greife nach dem Skalpell. Ich schneide das Seil an meinem anderen Handgelenk durch. Alles dauert so lange.
    Mir ist furchtbar schlecht. Meine Hände funktionieren nicht richtig. Sie sind so langsam, und das Zimmer wird immer

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