Die Chirurgin
ihr Vater und ihre beiden Brüder vor dem plärrenden Fernseher. Der Fernseher plärrte ständig in diesem Haus, und folglich mussten alle schreien, um sich verständlich zu machen. Wenn man in Frank Rizzolis Haus nicht schrie, dann wurde man nicht gehört, und schon ein ganz normales Familiengespräch klang wie ein Streit. Sie strich die Zwiebelwürfel mit dem Messer in eine Schüssel und nahm sich den Knoblauch vor. Ihre Augen brannten, und sie wurde das verstörende Bild von Moore und Cordell einfach nicht los.
Nach der Sitzung mit Dr. Polochek war es Moore gewesen, der Cordell nach Hause gebracht hatte. Rizzoli hatte ihnen nachgeblickt, als sie zusammen zum Aufzug gegangen waren, und sie hatte gesehen, wie Moore den Arm um Cordells Schulter gelegt hatte – in ihren Augen mehr als nur eine beschützende Geste. Sie sah, wie er Cordell anschaute, sah den Ausdruck auf seinem Gesicht, das Funkeln in seinen Augen. Er war nicht mehr der Polizist, der eine Staatsbürgerin beschützte, er war ein Mann, der drauf und dran war, sich zu verlieben.
Rizzoli löste die Knoblauchzehen aus der Knolle, zerdrückte sie einzeln mit der flachen Seite der Klinge und zog die Schale ab. Die Klinge schlug heftig gegen das Brett, und Rizzolis Mutter, die am Herd stand, warf ihr einen Blick zu, sagte aber nichts.
Er ist jetzt gerade bei ihr. In ihrer Wohnung. Vielleicht in ihrem Bett.
Sie ließ ein wenig von ihrem aufgestauten Frust ab, indem sie auf die Knoblauchzehen einhämmerte, zack-zack-zack. Sie konnte nicht sagen, warum der Gedanke an Moore und Cordell sie so aus der Fassung brachte. Vielleicht lag es daran, dass es so wenige Heilige auf der Welt gab, so wenige Menschen, die sich streng an die Regeln hielten, und sie geglaubt hatte, Moore sei einer von ihnen. Er hatte in ihr die Hoffnung geweckt, dass nicht die gesamte Menschheit unvollkommen war, und jetzt hatte er sie enttäuscht.
Vielleicht lag es auch daran, dass sie darin eine Gefährdung der Ermittlungsarbeit sah. Ein Mann, für den persönlich so viel auf dem Spiel steht, kann nicht logisch denken oder handeln.
Oder vielleicht liegt es daran, dass du eifersüchtig auf sie bist. Eifersüchtig auf eine Frau, die einem Mann mit einem Blick den Kopf verdrehen kann. Wie erschreckend leicht die Männer doch auf eine hilfsbedürftige Frau hereinfielen.
Im Nebenzimmer johlten ihr Vater und ihre Brüder laut über irgendetwas im Fernsehen. Sie sehnte sich nach ihrer ruhigen Wohnung zurück und begann sich schon Ausreden zurechtzulegen, um etwas früher gehen zu können. Sie würde mindestens bis nach dem Abendessen bleiben müssen. Wie ihre Mutter nicht müde wurde zu betonen, kam Frankie jr. nur sehr selten nach Hause, und Janie musste sich doch wünschen, mehr Zeit mit ihrem Bruder zu verbringen. Sie würde einen Abend mit Frankies Anekdoten aus dem Ausbildungslager über sich ergehen lassen müssen. Wie erbärmlich die neuen Rekruten dieses Jahr waren, wie die amerikanische Jugend immer mehr verweichlichte und wie er diesen Schlappschwänzen immer fester in den Hintern treten musste, um sie über die Hindernisbahn zu schleifen. Mom und Dad hingen gebannt an seinen Lippen. Was Rizzoli auf die Palme brachte, war, dass ihre Familie so wenig nach ihrer Arbeit fragte. In seiner bisherigen Laufbahn hatte Frankie, der Macho-Elitesoldat, immer nur Krieg gespielt. Sie musste jeden Tag in die Schlacht ziehen, gegen wirkliche Menschen, gegen wirkliche Killer.
Frankie kam in die Küche geschlendert und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. »Wann gibt’s denn was zu essen?«, fragte er und riss den Ringverschluss ab. Man hätte glauben können, sie sei bloß das Küchenmädchen.
»In einer Stunde«, sagte ihre Mutter.
»Herrgott, Ma, es ist schon halb acht! Ich bin am Verhungern.«
»Du sollst nicht fluchen, Frankie.«
»Weißt du«, sagte Rizzoli, »wir könnten viel früher essen, wenn die Männer uns bloß ein bisschen zur Hand gehen würden.«
»Ich kann warten«, sagte Frankie und wandte sich ab, um wieder ins Fernsehzimmer zu gehen. An der Tür blieb er plötzlich stehen. »Ach übrigens, das hätte ich fast vergessen. Da ist ’ne Nachricht für dich.«
»Was?«
»Dein Handy hat geläutet. Irgendein Typ namens Frosty.«
»Meinst du Barry Frost?«
»Ja, so hieß er. Er will, dass du ihn zurückrufst.«
»Wann war das?«
»Du warst gerade draußen und hast die Autos geparkt.«
»Verdammt noch mal, Frankie, das war vor einer Stunde!«
»Janie!«, mahnte ihre
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