Die Chorknaben
jung.«
»Ihr Job erfordert eben die Zuversicht und Zielstrebigkeit der Jugend«, bemerkte Baxter Slate spöttisch. In der angenehm frischen Nachtluft begann er langsam, sich wieder besser zu fühlen.
»Kann schon sein«, erwiderte Harold. »Kann schon sein.«
»Genau wie in unserem Job«, fügte Baxter hinzu. »Wenn wir wirklich noch zur Singstunde wollen, dann fahren wir jetzt endlich«, drängte Sam Niles. Er saß etwas verquer auf dem Rücksitz des Käfers, um seine langen Beine irgendwie unterzubringen, und konnte seiner Zigarette nicht den rechten Genuß abgewinnen, da sein Körper nach mehr Sauerstoff verlangte, als er bekam.
»Genau hier an dieser Stelle hat sie auf mich eingeschlagen und mich gekratzt«, erzählte Harold, während Baxter vor der roten Ampel hielt, um nach rechts abzubiegen.
Aber Harold forderte ihn auf: »Wart einen Augenblick, Baxter. Fahr doch mal eben an den Straßenrand, ja?«
»Was ist denn jetzt schon wieder, Harold?« stöhnte Sam Niles gereizt. Er nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. Aber kaum war der Käfer zum Stehen gekommen, war Harold auch schon aus dem Wagen gesprungen, bückte sich und hob einen Gegenstand vom Boden auf.
»Was zum Teufel machst du denn da?« wollte Sam wissen. »Schaut!« Harold Bloomguard kam wieder zum Wagen zurück.
Er hielt ein Klappmesser in seiner Hand: zehn Zentimeter Stahl mit einem geschuppten Griff. Eine Frauenwaffe, gut abgezogen. Die Spitze war abgebrochen, und Harold spürte sein Herz plötzlich lauter klopfen, als er auf den Zeitungskiosk zuschritt. Mit der abgebrochenen Klinge puhlte er das winzige Stahldreieck aus der Bretterwand, in der es in Halshöhe steckte. Und die Messerspitze war tief ins Holz gedrungen.
»Was machst du denn da, Harold?« fragte Sam Niles gereizt und mußte sich zu seiner Überraschung von Harold anfahren lassen: »Hält's Maul, Sam!« Schließlich löste sich das häßliche Stückchen Metall aus dem Holz und fiel in Harolds aufgehaltene Hand, wo er es sich kurz ansah. Harold Bloomguard hielt das Messer gegen den Randstein und ließ die Klinge nach Polizistenmanier mit einem Stoß seines Absatzes zurückschnappen.
Baxter Slate begriff als erster. »Besteht irgendeine Möglichkeit, Fingerabdrücke festzustellen, Harold?«
»Der Griff hat eine rauhe, unregelmäßige Oberfläche«, entgegnete Harold. »Darauf halten sich keine Abdrücke. Auf keinen Fall.« Sam Niles wollte Harold schon fragen, ob ihm die Straßenmädchen immer noch leid täten. Aber dann wandte Harold sich zu Baxter um, und Sam konnte den müden und bitteren Ausdruck in Harolds Gesicht sehen.
Als sie gegen vier Uhr im Park ankamen, trieben sich dort noch ein paar unverwüstliche Chorknaben herum. Carolina Moon war jedoch schon nach Hause gegangen, und Ora Lee Tingle konnte an diesem Abend überhaupt nicht kommen. Harold fand, daß die Luft für einen Spätjuliabend ungewöhnlich kühl war. Und sie vertagten die Sitzung, als Francis Tanaguchi erklärte, die Singstunde dieses Abends wäre ein Schlag ins Wasser gewesen.
12
Alexander Blaney
A lexander Blaney war zwar kein Chorknabe, aber er hatte einiges von den Singstunden mitbekommen. Er kannte mit da Zeit sogar einige Chorknaben beim Namen, da er oft in etwa fünfzig Metern Entfernung allein im Dunkeln auf dem Rasen des MacArthur Parks saß und den aufgedrehten Stimmen lauschte, die an seine Ohren drangen.
Alexander Blaney wünschte sich oft, die Chorknaben, oder zumindest ein paar von ihnen, kennenzulernen. Natürlich war er sich darüber im klaren, daß es sich dabei um Polizisten handelte. Er versuchte sich vorzustellen, wie Pater Willie wohl aussah und dieser andere, der Dean hieß und dauernd flennte, wenn er betrunken war. Und vor allem hätte er gern die Bekanntschaft Harold Bloomguards gemacht, der sich so nachhaltig für die Enten im MacArthur Park einsetzte. Allerdings gab es auch einen Chorknaben, den er nicht kennenlernen wollte – unter gar keinen Umständen. Roscoe Rules' Bekanntschaft wollte er nicht machen, da aus jedem seiner Worte Aggressivität und Brutalität sprachen. Er wußte nicht, was es bedeutete, wenn Roscoe Rules einem die Milz punktierte, aber er wollte das auch gar nicht unbedingt herausfinden.
Alexander Blaney war nur drei Blocks vom MacArthur Park entfernt aufgewachsen und für die Beamten der Jugendstreife der Rampart Station kein Unbekannter. Die Chorknaben von der Wilshire-Station wußten jedoch nichts von seiner Existenz. Alexander war ein
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