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Die Chorknaben

Die Chorknaben

Titel: Die Chorknaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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schlenkerte mit den Armen, der Mantel war ihr halb von den Schultern geglitten, und ihr Bauch wölbte sich gefährlich vor. Noch drei, vier Meter von ihrer Freundin entfernt glitt sie aus und sank in die Knie. Dann beugte sie sich, fast wie in Zeitlupe, vor, bis ihr Bauch den Asphalt berührte. Harold kniete auf dem Gehsteig und beobachtete sie mehrere Sekunden lang keuchend, wie sie auf der enormen Kugel ein prekäres Gleichgewicht hielt, bis sie sich schließlich langsam und vorsichtig auf die Seite rollen ließ und wie ein harpuniertes Walroß in die Luft reckte. Tammy blockierte zwei Fahrspuren, Sabrina eineinhalb.
    Die Luft, die er einatmete, stach immer noch wie ein Rasiermesser in seine Lungen, als Harold die kreischende und um sich schlagende Sabrina schwer atmend über die Straße zerrte, bis ihr Fuß neben Tammys Hand zum Liegen kam. Letztere war einer Ohnmacht nahe und lag mit geschlossenen Augen, die Zunge leicht zwischen den Lippen hervorstehend, keuchend auf dem Boden.
    Schließlich konnte Harold seinen Revolver wieder in den Gürtel zurückstecken, und er kettete mit den Handschellen Tammys Handgelenk an Sabrinas Fuß, ohne daß eine von den beiden irgendwelchen Widerstand geleistet hätte. Und dann saß er im grellen Licht der Scheinwerfer der um ihn herum zum Stehen gekommenen Autos auf der Straße, während die Fahrer wütend durcheinander schrien und hupten und sich alles mögliche vorstellten, was hier vor sich ging, nur nicht das, was wirklich passiert war.
    Schließlich hörte er ein Martinshorn und verhielt sich instinktiv wie ein Polizist, der eine verstopfte Kreuzung freizukriegen versucht. Er winkte mit den Handtaschen auf die Autofahrer ein, die verschreckt von ihren Wagen fortrannten und sie fahrerlos zurückließen, so daß das Chaos nur noch schlimmer wurde.
    Sie kamen aus allen Richtungen und überzogen den Straßenbelag mit einem Gummifilm von Reifenprofilen: Funkstreifen, Motorradstreifen, Zivileinheiten. Es waren in der Zentrale fünf verschiedene Notrufe eingegangen. Nachbarn beschwerten sich über einen Mann mit einer Schußwaffe, eine kreischende Frau, über einen Handtaschenraub, über einen Mann, der gegen zwei Frauen tätlich wurde und über einen Verrückten, der sich zur Schau stellte. Obwohl sofort darauf Code vier durchgegeben wurde, daß die Verdächtigen in Gewahrsam genommen worden waren, kamen nach wie vor Polizisten an den Schauplatz des Geschehens. Ihre Blaulichter tauchten den Pico Boulevard in schummriges Violett während sich das Verkehrschaos langsam wieder auflöste, Sergeant Yanov forderte zwar seine Einheiten eigens noch einmal auf, wie gewohnt ihrem Dienst nachzugehen, aber sie ließen sich durch nichts abhalten. Denn Polizisten sind nun einmal von Natur aus und aufgrund ihrer Ausbildung neugierig und aufdringlich. Insgesamt reagierten schließlich einundzwanzig Einheiten auf den ursprünglichen Notruf, und so hatte sich eine richtige kleine Versammlung gebildet, nachdem Harold, Sabrina und Tammy schon weggebracht worden waren. Beamte und Bürger stellten sich gegenseitig unzählige Fragen, die niemand beantworten konnte.
    Die Straßenmädchen wurden im Unfallkrankenhaus verarztet; sie hatten leichte Prellungen und Abschürfungen. Harold stellte zu seiner Verwunderung fest, daß er eine fünfzehn Zentimeter lange Schnittwunde hatte, die von seinem linken Ohrläppchen über den Kieferknochen zu seiner Kehle verlief. Sie war nicht tief und mußte lediglich desinfiziert werden.
    »Wahrscheinlich hat mich Sabrina mit ihren langen Fingernägeln gekratzt«, erzählte Harold Scuz, nachdem die Mädchen eingesperrt waren und sie auf der Wache den komplizierten Verhaftungsbericht verfaßten.
    »Ich habe immer gedacht, Sie wären ein heller Bursche, Harold«, grunzte Scuz. »Ich habe Ihnen doch gesagt, das sind völlig geringfügige Vergehen. Diese Fälle, mit denen wir von der Sitte uns rumschlagen, sind doch nicht der Rede wert. Wer hat Ihnen denn gesagt, sich gleich so reinzusteigern und sich sogar eine Verletzung zuzuziehen?«
    »Tut mir leid, Scuz, ich habe nur … ich wollte einfach in diesem Spiel gewinnen.«
    »Eigentlich sollte ich Ihnen mal ordentlich in den Arsch treten. Sich dabei auch noch 'ne Verletzung zuzuziehen!«
    »Das ist doch nichts. Nur ein Kratzer am Hals.«
    »Diese Sache hätte Sie das Leben kosten können! Und wofür?
    Für ein Spiel? Ich habe Sie um nichts weiter gebeten, als aufzupassen, daß Sie sich nicht verletzen. Ist das zu viel

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