Die Chorknaben
aus den letzten zwei Jahren seines Lebens gab. Das Foto war gemacht worden, als er in Van Nuys wegen eines Autodiebstahls festgenommen worden war. Spermwhale, Veteran dreier gescheiterter Ehen, hatte den Jungen kaum gesehen, nachdem er in die Pubertät gekommen war, und so studierte er das Foto sehr eingehend. Dabei lobte er Sergeant Harry Braggs Kunstfertigkeit, mit der er die Aktenziffer und die Profilaufnahme wegretuschiert und das Gesicht so herausvergrößert hatte, daß vermutlich nur noch ein Polizist hätte erkennen können, daß es sich dabei um eine Aufnahme aus dem Verbrecheralbum handelte.
Vom Technischen her war das Foto ein voller Erfolg, was jedoch nach künstlerischen Maßstäben nicht gegolten hätte. In den arroganten Augen und dem schmalen Mund war keine Spur von der beachtlichen Intelligenz des Jungen zu entdecken. Das schulterlange Haar war Spermwhale Whalen in keiner Weise vertraut; das gleiche galt für die frische, kleine Narbe über dem rechten Auge. Die Person auf dem Foto war nicht der Sohn, an den er sich gern erinnert hätte, und dies vor allem, wenn er sich nicht von seinen Schuldgefühlen übermannen lassen wollte. Mürrisch vor sich hin brummend, biß Spermwhale seine Zigarette halb in Fetzen, als er und Baxter zu ihrem Wagen zurückgingen. Die Nacht war diesmal besonders finster.
»Was hast du denn?« wollte Baxter wissen.
»Nichts.«
»Du machst aber nicht gerade einen zufriedenen Eindruck.«
»Ach was. Weshalb sollte ich unzufrieden sein? Ich mache immerhin meine siebzehntausend im Jahr, oder etwa nicht? Wenn man natürlich die Einkommensteuer und die Rentenversicherung und die Kreditrückzahlungen und die Arbeitsversicherungen und die drei Frauen und die Miete abzieht, bleibt mir vielleicht noch ein Dollar dreißig zum Essen zwischen den Zahltagen. Und da ich gerade eine viertägige Suspendierung hinter mir habe, werde ich wohl die nächsten zwei Wochen fasten müssen. Was sollte ich also für einen Grund haben, sauer zu sein?«
»Ist es wirklich das? Das Geld?«
»Ach was, das Geld. Wer braucht schon Geld? Nur weil ich vom mächtigen Arm des Gesetzes ein bißchen durchgeschüttelt worden bin? Nur weil ich auf vier Tage Lohn verzichten muß? Ich bitte dich, das ist doch nur ein Klacks. Ich habe schließlich nur drei Ex-Frauen zu unterstützen und drei Ex-Kinder … nein, zwei Ex-Kinder. Und dann noch einen Ex-Hund und eine Schildkröte. Die Schildkröte hält natürlich ab und zu ihren Winterschlaf, so daß sie nicht allzuviel zum Fressen braucht. Und abgesehen davon geschieht es mir vollkommen recht, daß sie mir vier Tage Suspendierung aufgebrummt haben, weil ich diese Avocados für Francis aufgehoben habe. Aber was ich gern wissen möchte: Ob Lieutenant Grimsley und diese anderen Kopfjäger von der Kontrollstelle ein Kopfgeld bekommen, wenn sie einen von uns hinhängen können?
Vielleicht zahlt ihnen die Stadt Prozente von dem, was sie dabei an unserer Lohntüte einsparen, wenn wir eine Suspendierung aufgebrummt bekommen. Hast du dir das eigentlich mal durch den Kopf gehen lassen?«
»Ich könnte dir bis zum nächsten Ersten zwanzig Dollar leihen.«
»Quatsch, ich brauche kein Geld. Der gute, alte Clyde Percy kommt auch ohne aus; warum nicht ich?«
»Ich finde es echt anständig, was du für ihn tun willst, daß der Alte wieder ein Bett in der Klapsmühle kriegt.«
»Jetzt hör mal gut zu, Partner«, fing daraufhin Spermwhale an. Er hatte seine Zigarre inzwischen fast vollständig aufgegessen und spuckte schwarze Tabakfitzel aus dem offenen Wagenfenster. »Mach dir bloß keine falschen Hoffnungen, nur weil ich manchmal den Eindruck erwecke, als wäre mir an manchen Leuten doch etwas gelegen. Nach neunzehn Jahren und ein paar Monaten auf diesen Straßen habe ich vor allem eins gelernt: daß die Menschen Scheiße sind. Abschaum. Der einzige Grund, weshalb ich mit ihnen nicht so umspringe wie Roscoe Rules oder noch so ein paar Hitzköpfe, ist einfach der, daß das Ganze letztlich doch bloß wieder auf einen selbst zurückfällt. Am Ende feuern sie dich dann wegen Brutalität oder wegen eines Magengeschwürs oder sonst irgendwas. Und wofür, frage ich mich dann? Die Menschheit ist keinen Pfifferling wert, aber wir müssen nun mal mit diesen Arschlöchern auskommen. Also, was soll's? Wenn es nun einmal so gespielt wird hier, dann tut man eben so, als würde man mitspielen. Und wenn du das nicht machst, wenn du dich außerhalb stellst, dann nimmst du am besten gleich
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