Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2
zurück. Wir treffen uns hier, geben dem Großbulp seinen Schatz und bleiben hier bis zur Nacht. Sobald es dunkel ist, verschwinden wir.«
»Ich verstehe«, sagte Raistlin ruhig.
Ich wünschte, ich würde auch verstehen, dachte Tanis bitter. Ich wünschte, ich würde verstehen, was in dir vorgeht, Magier. Aber der Halb-Elf sagte nichts.
»Gehen jetzt ?« fragte Bupu und sah Tanis ängstlich an.
»Wir gehen jetzt«, antwortete Tanis.
Raistlin schlich sich aus der düsteren Gasse und bewegte sich schnell auf die zum Süden führende zu. Er bemerkte kein Lebenszeichen. Es war, als ob alle Gossenzwerge vom Nebel verschluckt worden wären. Er fand diesen Gedanken beunruhigend und hielt sich im Schatten. Der zerbrechliche Magier konnte sich im Notfall fast geräuschlos bewegen. Er hoffte nur, seinen Husten unter Kontrolle zu halten. Der Schmerz in seiner Brust ließ nach, wenn er die Kräutermischung trank, deren Rezept er von Par-Salian erhalten hatte – eine Art Entschuldigung vom großen Hexenmeister für das Trauma, das der junge Magier erlitten hatte. Aber die Wirkung der Mischung hielt nicht lange an.
Bupu spähte hinter seinem Gewand hervor, ihre runden schwarzen Augen blinzelten die Straße hinunter, die nach Osten zum Großen Platz führte. »Niemand«, sagte sie und zog an seinem Gewand. »Wir gehen.«
Niemand – dachte Raistlin besorgt. Das ergab keinen Sinn. Wo waren die Gossenzwerge? Er hatte das Gefühl, daß irgend etwas schieflief, aber es war keine Zeit mehr umzukehren – Tanis und die anderen waren schon auf dem Weg zum geheimen Tunneleingang. Der Magier lächelte bitter. Dieses ganze Unternehmen schien sich als Torheit herauszustellen. Wahrscheinlich würden sie alle in dieser entsetzlichen Stadt umkommen.
Bupu zerrte wieder an seinem Gewand. Er zuckte zusammen, zog seine Kapuze über das Gesicht, und dann rannten er und Bupu in die in Nebel getauchte Straße.
Zwei Gestalten in Rüstungen lösten sich aus einem dunklen Türeingang und schlichen schnell hinter Raistlin und Bupu her.
»Hier ist es«,Tanis öffnete eine halbvermoderte Tür und spähte hindurch. »Es ist dunkel hier.Wir brauchen Licht.«
Caramon entzündete eine der Fackeln, die sie sich vom Großbulp ausgeliehen hatten. Der Krieger überreichte Tanis eine und zündete dann noch eine für sich und für Flußwind an. Tanis trat durch die Tür und fand sich sofort bis zu den Knöcheln in Wasser stehen. Er hielt die Fackel hoch und sah sich um. An den Wänden des verwüsteten Raumes sickerte Wasser herunter. In der Mitte des Raumes bildete es einen Wirbel und verschwand dann in irgendwelchen Spalten.Tanis watete zur Mitte und hielt seine Fackel dicht ans Wasser.
»Hier, ich kann es sehen«, sagte er, als die anderen ihm folgten. Er zeigte auf eine Falltür im Boden, an der ein kaum sichtbarer eiserner Ring befestigt war.
»Caramon?«Tanis richtete sich auf.
»Pah!« machte Flint. »Wenn ein Gossenzwerg diese Tür öffnen kann, dann kann ich es erst recht. Geht mal zur Seite.« Der Zwerg stieß alle weg, tauchte seine Hand ins Wasser und versuchte, die Tür zu heben. Nach einem Moment des Schweigens ächzte Flint, sein Gesicht war hochrot. Er hielt inne, richtete sich keuchend auf, dann versuchte er es noch einmal. Die Tür bewegte sich nicht.
Tanis legte seine Hand auf die Schulter des Zwerges. »Flint, Bupu sagte, daß sie nur in der Trockenzeit hierherkommt. Du versuchst, das halbe Neumeer mit der Tür zu heben.«
»Nun« – der Zwerg keuchte und schnaubte – »warum hast du das nicht gleich gesagt? Dann soll der große Ochse sein Glück versuchen.«
Caramon trat heran. Er griff ins Wasser und hob und stemmte. Seine Schultermuskeln spannten sich, und die Adern traten hervor. Man hörte ein saugendes Geräusch, dann ließ der Unterdruck so plötzlich nach, daß der Kämpfer fast nach hinten gefallen wäre. Aus dem Raum floß Wasser ab, als Caramon die hölzerne Tür lockerte, Tanis hielt seine Fackel nach unten. Ein quadratischer Schacht klaffte im Boden, eine enge Eisenleiter verlief nach unten.
»Wie weit sind wir?« fragte Tanis.
»Vierhundertdrei«, antwortete Sturm. »Vierhundertvier.«
Die Gefährten standen um die Falltür und zitterten in der eisigkalten Luft. Sie hörten nur das Wasser, das den Schacht hinuntertröpfelte.
»Vierhundertfünfzig«, zählte der Ritter ruhig.
Tanis kratzte sich am Bart. Caramon hustete zweimal, als ob er sie an seinen abwesenden Bruder erinnern wollte. Flint fuchtelte
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