Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2
»Laß den Eingang nur einen Spalt offen, Gilthanas, so weit, daß unser Verfolger weiß, daß wir hier waren, aber nicht so breit, daß er uns folgen kann.«
Gilthanas zog den Edelstein weg, legte ihn in eine Nische im Innern der Höhle und sprach ein paar Worte. Das Gestein begann sich geräuschlos zusammenzuschieben. Im letzten Moment, der Spalt war nur noch wenige Zentimeter breit, entfernte Gilthanas schnell den Edelstein. Das Gestein kam zum
Halt, und der Ritter, der Elf und der Halb-Elf traten zu den Gefährten im Eingang zum Sla-Mori.
»Hier ist es sehr staubig«, berichtete Raistlin hustend, »aber keine Spuren, zumindest nicht in diesem Teil der Höhle.«
»Ungefähr hundert Meter weiter ist eine Gabelung«, fügte Flint hinzu. »Dort fanden wir Fußspuren, aber wir konnten sie nicht näher bestimmen. Sie sehen weder nach Drakoniern noch nach Hobgoblins aus, und sie führen nicht in diese Richtung. Der Magier meint, das Böse käme von rechts.«
»Wir werden hier übernachten«, sagte Tanis, »in der Nähe des Eingangs.Wir werden zwei Wachen aufstellen – eine an der Tür, die andere weiter im Tunnel. Sturm und Caramon übernehmen die erste Wache, dann Gilthanas und ich, Eben und Flußwind, Flint und Tolpan.«
»Und ich«, sagte Tika tapfer, obwohl sie sich noch nie so müde gefühlt hatte. »Ich werde auch Wache stehen.«
Tanis war froh, daß man in der Dunkelheit sein Lächeln nicht sehen konnte. »Sehr gut«, sagte er. »Du wirst mit Flint und Tolpan Wache halten.«
»Einverstanden!« antwortete Tika. Sie öffnete ihren Rucksack, kramte eine Decke hervor und legte sich hin. Die ganze Zeit über war sie sich bewußt, daß Caramons Augen auf ihr ruhten. Ebenso wußte sie, daß Eben sie beobachtete.Aber es störte sie nicht. Sie war daran gewöhnt, daß Männer sie bewundernd anstarrten, und Eben sah noch besser aus als der Krieger. Jedoch die Erinnerung an Caramons Umarmung ließ sie von neuem in furchtsamem Entzücken erbeben. Sie versuchte, nicht daran zu denken. Das Kettenhemd war kalt und zwickte durch die Bluse.Aber die anderen nahmen auch nicht die Rüstung ab. Außerdem war sie müde genug, um so wie sie war zu schlafen. Tikas letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, daß sie dankbar war, nicht mit Caramon allein zu sein.
Goldmond sah die Augen des Kriegers auf Tika ruhen. Sie flüsterte Flußwind etwas zu, der lächelnd nickte, und ging zu Caramon hinüber. Sie zog ihn von den anderen weg, in den Schatten des Korridors.
»Tanis hat mir erzählt, daß du eine ältere Schwester hast«, bemerkte sie.
»Ja«, antwortete Caramon erstaunt. »Kitiara. Aber sie ist meine Halbschwester.«
Goldmond lächelte und legte ihre Hand behutsam auf den Arm des Kriegers. »Ich werde jetzt mit dir wie deine ältere Schwester reden.«
Caramon grinste. »Nicht wie Kitiara, das schaffst du nicht, Prinzessin von Que-Shu. Kit sagte mir als erste, was all die Flüche bedeuteten, die ich hörte, und noch einiges andere mehr. Sie zeigte mir, wie man ein Schwert gebraucht und wie man bei Turnieren ehrenhaft kämpft.Aber sie brachte mir auch bei, wie man einem Mann in die Leisten tritt, wenn die Schiedsrichter nicht aufpassen. Nein, Prinzessin, du bist meiner älteren Schwester nicht ähnlich.«
Goldmonds Augen weiteten sich vor Verwunderung über die Beschreibung einer Frau, von der sie vermutete, daß der Halb-Elf sie liebte. »Aber ich dachte, sie und Tanis, ich meine, die beiden ...«
Caramon winkte ab. »Sicherlich haben sie es gemacht!« sagte er.
Goldmond holte tief Luft. Sie wollte die Unterhaltung nicht abdriften lassen, aber es führte sie zu ihrem Anliegen. »Irgendwie ist es das, worüber ich mit dir sprechen möchte. Aber es geht um Tika.«
»Tika?« Caramon errötete. »Sie ist ein großartiges Mädchen. Entschuldige bitte, aber ich verstehe dein Problem nicht.«
»Sie ist ein Mädchen«, sagte Goldmond sanft. »Verstehst du nicht?«
Caramon blickte verständnislos drein. Er wußte, daß Tika ein Mädchen war. Was meinte Goldmond? Dann blinzelte er im plötzlichen Verstehen und stöhnte auf. »Nein, sie ist keine...«
»Doch.« Goldmond seufzte. »Sie ist es. Sie war noch nie mit einem Mann zusammen. Sie erzählte es mir, als ich ihr mit der Rüstung half. Sie hat Angst, Caramon. Sie hat eine Menge Geschichten gehört. Bedräng sie nicht. Sie möchte verzweifelt
gern deine Zuneigung, und sie würde alles dafür tun. Aber laß sie nicht etwas machen, was sie später vielleicht bereuen würde.
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