Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2
dachte er. Einer von den dreien ist ein Verräter, und er war die ganze Zeit dabei. Jeden Moment können die Wachen kommen. Oder vielleicht ist Verminaard ... subtiler ... eine Falle, um uns alle zu erwischen ...
Dann erkannte Tanis alles mit grausiger Klarheit. Natürlich! Verminaard würde den Aufstand als Entschuldigung benutzen, alle Geiseln und die Klerikerin zu töten. Er könnte jederzeit Sklaven bekommen, die ein abschreckendes Beispiel vor Augen hätten, was jenen passiert, die nicht gehorchen. Dieser Plan – Gilthanas’ Plan – spielte sie direkt in seine Hände!
Wir sollten den Plan fallenlassen, dachte Tanis hektisch, dann zwang er sich zur Ruhe. Nein, die Leute waren zu aufgeregt. Nach Elistans wundersamer Heilung und seiner Verkündung, sich mit den uralten Göttern zu befassen, hatten die Leute Hoffnung gefaßt. Sie glaubten, daß die Götter wirklich zu ihnen zurückgekehrt waren. Aber Tanis hatte beobachtet, wie die anderen Sucherfürsten eifersüchtige Blicke auf Elistan warfen. Es war ganz klar: Zwar hatten sie zugestimmt, ihren neuen Führer zu unterstützen, aber zu gegebener Zeit würden sie versuchen, ihn zu stürzen. Vielleicht gingen sie schon jetzt unter die Leute und streuten Zweifel.
Wenn wir jetzt abspringen, werden sie uns niemals mehr vertrauen, dachte Tanis. Wir müssen den Plan ausführen – gleichgültig, wie groß das Risiko ist. Außerdem, vielleicht irrte er sich
auch. Vielleicht gab es keinen Verräter. Mit dieser Hoffnung fiel er in einen unruhigen Schlaf.
Die Nacht verlief ohne Zwischenfälle.
Die Dämmerung drang durch das klaffende Loch im Turm der Festung.Tolpan blinzelte, dann setzte er sich auf, rieb seine Augen und überlegte einen Moment, wo er wohl war. Ich bin in einem großen Raum, dachte er, und starre auf eine hohe Decke, die ein Loch hat, damit der Drache nach draußen fliegen kann. Da sind außer der einen noch zwei andere Türen, durch die Fizban und ich letzte Nacht eingetreten sind.
Fizban! Der Drache!
Tolpan erinnerte sich stöhnend. Er hatte doch wach bleiben wollen! Er und Fizban hatten warten wollen, bis der Drache eingeschlafen war, um dann Sestun zu befreien. Jetzt war es Morgen! Vielleicht war alles zu spät! Ängstlich kroch der Kender zum Balkon und spähte über das Geländer. Nein! Erleichtert seufzte er auf. Der Drache schlief. Sestun schlief auch.
Jetzt war ihre Gelegenheit gekommen! Tolpan kroch zum Magier zurück.
»Alter!« flüsterte er. »Wach auf!« Er schüttelte ihn.
»Was? Wer? Feuer?« Der Magier setzte sich auf und blickte sich verschlafen um. »Wo? Lauf zum Ausgang !«
»Nein, kein Feuer.« Tolpan seufzte. »Es ist Morgen. Hier ist dein Hut ...« Er gab ihn dem Magier, der suchend herumtastete. »Was ist mit dem Wölkchen?«
»Mmmh!« machte Fizban. »Ich habe es zurückgeschickt. Es hat mich am Schlafen gehindert, war zu hell.«
»Wir wollten doch wach bleiben, nicht wahr?« fragte Tolpan ärgerlich. »Sestun vom Drachen befreien!«
»Wie wollten wir das denn anstellen?« fragte Fizban interessiert.
»Du hattest einen Plan!«
»Ich? Oje.« Der alte Magier blinzelte. »War er gut?«
»Du hast ihn mir nicht erzählt!« Tolpan schrie fast, dann beruhigte er sich. »Du hast nur gesagt, daß wir Sestun vor dem
Frühstück befreien müßten, weil auch ein Gossenzwerg dann vielleicht appetitanregend auf einen Drachen wirkt, der schon zwölf Stunden nichts gefressen hat.«
»Das ergibt einen Sinn«, räumte Fizban ein. »Bist du dir sicher, daß ich das gesagt habe?«
»Sieh mal«, sagte Tolpan geduldig. »Wir brauchen nur ein langes Seil, um es zu ihm herunterzulassen. Kannst du so etwas nicht zaubern?«
»Seil!« Fizban sah ihn wütend an. »Bin ich schon so tief gesunken? Du beleidigst meine Künste. Hilf mir beim Aufstehen.«
Tolpan half ihm. »Ich wollte dich nicht beleidigen«, sagte der Kender, »und ich weiß, daß ich mir über ein Seil keine Sorgen zu machen brauche und daß du sehr fähig bist... Es ist nur ..., alles in Ordnung!« Tolpan deutete zum Balkon. »Geh vor. Ich hoffe nur, wir werden es überleben«, murmelte er.
»Ich werde dich nicht im Stich lassen – auch Sestun nicht, was diese Angelegenheit betrifft«, versprach Fizban. Die beiden spähten über den Balkon. Es hatte sich nichts verändert. Sestun lag in einer Ecke. Der Drache schlief fest. Fizban schloß seine Augen. Er konzentrierte sich, murmelte merkwürdige Worte, dann streckte er seine dünne Hand durch das
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