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Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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angebissene Mond erst gegen Mittnacht aufging. Fin-Kedinn hatte nur eine kurze Strecke zurückgelegt, als er erneut stehen blieb und lauschte. Von ferne erklang der Warnruf eines Eichelhähers. Kurz darauf glitt der Vogel mit raschem Schwingenschlag über Fin-Kedinn hinweg und stieß, als er ihn erspähte, ein weiteres rasselndes Kschaak! aus.
    Beim ersten Schrei hatte sich der Eichelhäher noch weiter oben am Bergkamm aufgehalten. Das, was den Vogel erschreckt hatte, musste sich also weiter oben, in der Nähe der Kuppe, befinden. Fin-Kedinn kannte diese Berge genau. Nicht weit entfernt kragte der Felsen zu einem Vorsprung aus: ein gutes Versteck, das einen weiten Rundumblick gewährte. Falls er sich irren sollte, bot ihm die Stelle immerhin einen guten Unterschlupf für die Nacht.
    Bereits beim Emporklettern stieg ihm leichter Rauchgeruch in die Nase.
    Er hörte einen Zweig knacken. Oder knisterte dort gar ein Feuer?
    Hinter einer Stecheiche verborgen, blickte er sich prüfend um.
    Aha. Schlau gemacht. Die Feuerstelle lag nicht in der Nähe des Vorsprungs, sondern weiter unten in einer Senke, keine dreißig Schritt vom Pfad entfernt, hinter einem Findling. Der matte Schein war kaum zu erkennen. Fin-Kedinn hatte nichts anderes erwartet. Der Gesuchte verstand sich auf ein gutes Versteck.
    Leise stieg er zur Senke hinab.
    Im Halbdunkel erkannte er eine schattenhafte Gestalt. Jemand beugte sich über die Reste eines erlegten kleinen Rehs, die Axt griffbereit.
    Fin-Kedinn lockerte sein Messer und trat einen Schritt näher. Dann hielt er inne. Zögernd machte er einen weiteren Schritt.
    Die Gestalt richtete sich auf, hob die Axt und holte aus.
    Fin-Kedinn packte den Axtarm des anderen am Handgelenk.
    Auge in Auge maßen sie stumm ihre Kräfte.
    Dann, ganz plötzlich, wich die Anspannung aus dem Axtarm.
    Fin-Kedinn lockerte seinen Griff. »Es ist an der Zeit, eine alte Schuld zu begleichen, mein Freund.«

Kapitel 16

    Die Fischschlingen waren leer. Ein Vielfraß hatte in der Nacht alle Fallen geplündert.
    »Also kein Tagmahl für uns«, sagte Torak und schleuderte die Schnüre auf den Boden.
    Renn begnügte sich mit einem flüchtigen Blick auf die leeren Haken. »Dann müssen wir eben Flechten essen.«
    Er sah sie zweifelnd an. »Kann man die überhaupt essen?«
    »Ich glaube schon.« Sie klang nicht sehr überzeugend.
    Gemeinsam kratzten sie eine Handvoll Flechten unter dem Eis hervor und weichten sie in Renns Wassersack ein. Während Renn das Feuer fütterte, ging Torak auf Nahrungssuche. Die Ausbeute der langen, kalten Wanderung beschränkte sich auf ein paar Krähenbeeren und einige kümmerliche Sauerampferblätter.
    Renn gab beides in das Kochleder, wo die Flechten inzwischen zu einem dunklen schleimigen Brei eingedickt waren.
    »Bist du dir wirklich sicher, dass Menschen so was essen können?«, fragte Torak nach der ersten Kostprobe.
    »Die Bergclans können es jedenfalls. In schlechten Zeiten.«
    »Da müssen sie aber schon sehr schlecht sein. Richtig schlecht.«
    »Vielleicht hat Wolf mehr Glück. Dann kann er seine Beute mit uns teilen.«
    Die Vorstellung, Wolf etwas von seiner Beute abzunehmen, begeisterte Torak nicht gerade, andererseits hatte Renn vollkommen recht. Seit ihrer letzten Mahlzeit, dem Schneehuhn, waren bereits zwei Tage vergangen. Es war überlebensnotwendig, die Rentiere zu finden. Nicht nur, weil die Herde sie zu den Bergclans führte, sondern weil sie unbedingt essen mussten.
    Noch am Vormittag erreichten sie ein Flüsschen, das überraschenderweise noch munter war. Unter lebhaftem Rauschen stürzte es zwischen felsigen Hügeln, die mit drei weiteren der sonderbaren Torfmänner gekrönt waren, zu Tal. Nicht einmal das seichte Ufer war zugefroren. Torak und Renn gruben dicke Büschel grün leuchtender Teichschachtelhalme aus und stopften sich die prallen Wurzelknollen in den Mund.
    Als Torak sich aufrichtete, tanzten schwarze Flecke vor seinen Augen. Die Wurzeln hatten seinen Hunger bei Weitem nicht gestillt. Allmählich tat ihm der Magen weh.
    Renn sank erschöpft auf einem Felsen nieder und nahm die Schneemaske ab. Unter ihren Augen lagen tiefblaue Schatten. »Eigentlich müssten in diesem Fluss Fische sein«, sagte sie. »Aber ich habe nicht einen gesehen.«
    Sie wechselten einen Blick. Wie lange konnten sie noch durchhalten?
    »Wenn wir die Herde gefunden haben«, verkündete Torak, »verputze ich ein ganzes Rentier mit Haut und Haaren. Zuerst kommt der Nacken an die Reihe, dann arbeite

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