Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
dunklen Augen blickten rabenkühn.
    Torak setzte sich zitternd auf. Er fühlte sich schwindelig und zerschlagen, konnte jedoch alle Glieder bewegen. Der Schnee und die dicke Kleidung mussten den Sturz abgefangen haben. Nur sein Kopf unter dem Verband pochte. Die Adlereule hatte die Wunde an seiner Kopfhaut wieder aufgerissen. Er fragte sich, wer ihn verbunden hatte.
    Die Adlereule.
    Mit einem Mal stürzte alles wieder auf ihn ein.
    »Wer bist du?«, fragte er. »Wo ist mein Messer? Wo ist Wolf?«
    Keine Antwort.
    Torak wankte zum Höhlenausgang.
    »Halt!«, rief eine Stimme.
    Torak hörte rasche Schritte und das Scharren von Krallen. Er schob sich an den Tierhäuten vorbei in einen eisigen Wind. Da rissen ihn Hände von einem schwindelerregenden Abgrund zurück. Er fiel schmerzhaft auf den Hintern und Wolf sprang auf ihn drauf, leckte sein Gesicht und winselte vor Freude. Du bist wach! Ich kann es nicht leiden, wenn jemand so lange schläft! Ich bin da!
    Torak griff nach Wolfs Nackenfell. Dann sah er zu dem Jungen empor, der ihm das Leben gerettet hatte.
    Er mochte ungefähr in seinem Alter sein. Die ziemlich schmutzige, hagere Gestalt blinzelte gegen das Licht und hielt sich die Hand vor die Augen. Der Junge trug einen zerrissenen Umhang aus Ochsenwolle und hatte keine sichtbaren Clanzeichen. Aber nicht das machte ihn so außergewöhnlich.
    Er sah aus, als hätte man ihm alle Farbe genommen. Sein langes, verknotetes Haar war weiß wie Spinnweben. Brauen und Wimpern hatten die Farbe von totem Gras, sein Gesicht die Blässe frisch geschnittenen Kalksteins. Die blassgrauen Augen ließen Torak an einen Himmel voller Schnee denken.
    »Wer bist du?«, fragte der Junge in einer merkwürdigen Mischung aus Angst und Neugier.
    »Was bist du?«, rief Torak und beeilte sich, auf die Beine zu kommen. »Du hast meine Kleider und mein Messer genommen. Gib sie zurück!«
    Der Junge verzog die Lippen zu einem Lächeln voller Zahnlücken, das aussah, als hätte er es schon lange nicht mehr ausprobiert. »Dein Messer ist in Sicherheit.« Er zeigte auf einen kleinen Sims. »Du bist noch durcheinander. Ich hab dich zum Schlafen gebracht. Du hast viel geredet.«
    »Du bist eines von ihren Geschöpfen!«, zischte Torak.
    »Wen meinst du damit?«
    »Eostra!«
    »Ist das die, die den Berg an sich gerissen hat?«
    »Tu nicht so, als wüsstest du das nicht!«
    »O, ich weiß es nur zu gut. Ich hab sie gesehen.« Torak sah die Schatten unter seinen Augen. Dieser Junge hatte Tage und Nächte voller Angst hinter sich.
    Oder er war ein hervorragender Lügner.
    »Du hilfst ihr doch bestimmt!« Torak ließ nicht locker. »Warum bist du sonst überhaupt hier?«
    »Ich war schon vorher hier. Ich …« Er unterbrach sich und wandte lauschend den Kopf. »Bin gleich wieder da«, rief er.
    »Wer ist dort?«, fragte Torak argwöhnisch.
    »Du ruhst dich lieber noch eine Weile aus«, beschwor ihn der Junge. »Du bist noch nicht ganz bei Sinnen.«
    Als er das sagte, wurde Torak prompt wieder schwindelig. »Bist du ein Schamane?«, fragte Torak. »Kannst du mich beeinflussen, sodass ich fühle, was du willst?«
    »Ein Schamane? Nein, das glaube ich nicht.«
    Wolf leckte Toraks Hand. Benommen sah Torak, dass die Wunden seines Rudelbruders gereinigt und mit Salbe eingerieben waren und er sich bei dem Fremden recht wohl zu fühlen schien.
    »Zuerst hat er mich nicht an dich rangelassen«, sagte der Junge und streckte die Finger aus, damit Wolf daran schnüffeln konnte.
    »Warum hast du mich zum Schlafen gebracht?« Torak musste sich anstrengen, um aufrecht stehen zu bleiben.
    »Ich musste nach meinen Fallen sehen. Und ich konnte dich unmöglich weggehen lassen.«
    Torak schob sich an ihm vorbei und griff nach seinem Messer. »Gib mir meine Kleider. Lass mich raus.«
    Die Höhle drehte sich. Der Junge nahm ihm vorsichtig das Messer ab und half ihm, sich auf die Hasenfelle zu legen.
    Als Torak das nächste Mal erwachte, lag er wieder unter der Ochsendecke.
    Jetzt war er an Händen und Füßen gefesselt.
     
    »Binde mich los.«
    »Nein.«
    »Warum?«
    »Du würdest abhauen.«
    »Aber ich kann nicht hierbleiben!«
    »Warum nicht?«
    Torak bäumte sich nicht mehr auf, sondern starrte den Jungen an, der ihn gefangen hielt.
    Die Hasenfellstiefel des Jungen waren ungeschickt mit Lemmingstücken durchsetzt, sein Umhang war von jemandem angefertigt, der nicht mit Nadeln und Faden umgehen konnte. Er saß mit den Händen zwischen den Knien da und betrachtete Torak

Weitere Kostenlose Bücher