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Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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ließ es sie zittern. Ihre Stiefel knirschten laut auf gefrorenem Gestrüpp und schwarzen Flechten, brüchig wie Zunder. Ihr Wassersack gluckerte, es klang wie Schritte, die sie verfolgten. Sie blieb stehen und schaute sich zur Sicherheit um.
    »Das sind keine Schritte«, sagte sie halblaut. »Da ist nichts.«
    Die Steine warteten angespannt. Sie spürte, wie die Verborgenen sie beobachteten.
    Auch Eostra sah zu.
    Wolken ergossen sich über die Klippenränder, schlichen sich in die Schlucht und hüllten Renn in eine feuchte Umarmung. Eostra hatte ihre Hunde nicht geschickt, um sie zurückzudrängen. Das musste sie auch gar nicht.
    Wie ein flirrender Schatten im äußersten Augenwinkel spürte Renn die Anwesenheit der Adlereulenschamanin. Nebel stahl sich in ihre Kehle und raubte ihr den Atem. Ihr Knöchel pochte. Ihr Mut schlich sich davon. Warum weitergehen, wenn sie doch scheitern musste?
    Sie hatte ein eigenartiges Gefühl, gerade so, als beobachtete sie sich selbst von oben. Das war sie: ein fußlahmes Mädchen, das auf dem Boden einer Schlucht kauerte. Sie würde Torak nie finden. Er war fortgegangen, weil er Eostra allein gegenübertreten wollte; weil er sterben und bei seinem Vater sein wollte. Und dieser Wunsch würde sich auch bald erfüllen.
    In der Ferne krächzte ein Rabe.
    Renn hob den Kopf. Das war Rip.
    Kurz darauf, ein Stück weiter weg, hörte sie Rek, der ihm antwortete.
    Als ihre Rufe langsam verhallten, ballte Renn die Fäuste. Rip und Rek hörten sich nicht besiegt an. Sie klangen, als seien sie in eine ihrer geheimnisvollen Rabenangelegenheiten vertieft; wahrscheinlich ging es um Futter.
    Wie aus Mitgefühl knurrte ihr Magen. Nebel hin oder her, sie hatte Hunger.
    Sie öffnete ihren Vorratsbeutel und nahm zwei Streifen geräucherte Rentierzunge heraus, die mit fettem Mark zusammengeklebt waren. Dann setzte sie sich auf einen Felsen und fing an zu essen. Es war das Beste, was sie je gekostet hatte.
    Sie fand, dass auch ihr Bogen ein bisschen Futter brauchen konnte. Juksakai hatte ihr eine Blase mit Öl aus den Fußgelenken von Rentieren mitgegeben, das, wie er behauptet hatte, besser sei als alles andere, um Holz und Sehne geschmeidig zu halten, selbst bei kältestem Wetter. Renn goss es großzügig über ihren Bogen. Dann überprüfte sie ihre Pfeile: ein Geschenk von Krukoslik, mit feinen Quarzköpfen und weißem Eulengefieder. » Gute Eulen «, murmelte sie vor sich hin.
    Der Nebel wirbelte wütend um sie her.
    Das Essen, das Öl, die Pfeile: Sie waren von guten Menschen zubereitet und angefertigt worden. Die Kleidung, die sie ihr gegeben hatten, sollte Zuversicht und Wärme spenden. Die Berghasen hatten gesagt, sie fertigten die Vorderseite ihrer Kleidung immer aus dem Brusthaar von Rentieren. »Denn in der Brust des Gehörnten schlägt ein großes Herz.«
    Ein großes Herz . Renns Gedanken wanderten zu Fin-Kedinn. Sie richtete sich auf. »Ich bin eine Blutsverwandte des Anführers der Raben«, sagte sie in den Nebel – und der wich vor der Entschlossenheit in ihrer Stimme zurück. »Ich bin Renn: Ich bin Schamanin.«
    Als sie weiterzog, kam es ihr vor, als habe sich der Nebel ein wenig gelichtet.
    In der Gewissheit, ihrer Gegnerin nicht mehr hoffnungslos unterlegen zu sein, rief sich Renn noch einmal in Erinnerung, was sie über Eostras Vorhaben wusste.
    Die Adlereulenschamanin wollte ewig leben. Sie wollte Toraks Weltseele essen und sich damit seine Kraft einverleiben.
    Renn blieb stehen.
    Bisher hatte sie sich noch nie gefragt, wie Eostra das anstellen wollte. Wenn sie dahinterkam, hatte sie vielleicht eine Chance, sie davon abzuhalten.
    Das Beste, was Renn einfiel, war ein Ritual zum Festhalten von Seelen. Saeunn hatte ihr einst davon erzählt. Es wurde angewendet, wenn eine Mutter oder ein Vater so heftig um ihr totes Kind trauerten, dass sie Gefahr liefen, verrückt zu werden. Ihre Schamanin fing zuerst den aus dem Körper getretenen Geist in einem Ebereschenkästchen ein und verschnürte es mit einer Strähne aus dem Haar des Verstorbenen. Der Trauernde musste anschließend sechs Monate lang vom Stamm entfernt wohnen, seine einzige Gesellschaft waren die Seelen in besagtem Kästchen. Dann wurden die Seelen befreit, indem man das Kästchen öffnete und die Haarsträhne auf einer Hügelkuppe verbrannte, damit der Rauch zum Ersten Baum im Himmel hinaufwehen konnte.
    Renn zog ihre Fäustlinge aus und kratzte sich am Kopf. Was hatte das mit Eostra zu tun?
    Ihre Finger verharrten an Ort

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