Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
mochte.
Sirr, die ein paar Schritte neben ihm hockte meinte dazu nur: „Ich finde es sieht eher so aus, als würde das Wasser dich nicht mögen.“
So oder so war es Zeit aufzubrechen. Erich versuchte ein paar Schritte zu gehen, zog es aber dann doch wieder vor, sich vom Halken tragen zu lassen. Und so konnten wir unser Experiment fortsetzen. Es klappte immer besser. Wenn Erich sich konzentrierte, schaffte ich es seine Hand zur Faust zu ballen und wieder zu öffnen, ohne dass er seinen Körper verlassen musste. Zu mehr war ich allerdings nicht in der Lage und ich muss zugeben, dass mich allein das beinahe völlig erschöpfte. Sirr hatte also unrecht, aber mit dieser Erkenntnis ließ sich rein gar nichts Sinnvolles anfangen.
Als wir schon einige Stunden unterwegs waren, begannen Wolken aufzuziehen, die sich nicht so verhielten, wie man das von normalen Wolken erwarten würde. Aber hier auf dem Sommerfeld nahmen wir kaum Notiz davon. Wenn wir uns mit jeder widernatürlichen Erscheinung aufgehalten hätten, wären wir überhaupt nicht mehr weitergekommen. Erst als die Wolken langsam tiefer sanken und mit einem blutig rotem Aufblitzen den Boden berührten, änderte Sarn unsere Marschrichtung um einige Grad, um sicherheitshalber etwas Distanz zwischen uns und die Wolken zu bringen, die ihre Farbe ständig von reinem Weiß zu schmutzigem Schwarz änderten und wieder zurück. Aber selbst wenn wir direkt von den Wolken weggelaufen wären, hätten wir ihnen nicht entrinnen können. Sie kamen schnell näher und wir hatten gerade noch Zeit uns dichter zusammenzuschließen, als die kühle feuchte Wand uns auch schon eingeholt hatte. Wieder einmal umgab uns Nebel, der aber an vielen Stellen nicht besonders dicht war, so dass wir sehen konnten, wie sich vor uns eine geisterhafte Armee formierte. Die Art, wie man durch die Körper der Männer hindurchblicken konnte, sagte uns, dass es sich hier nur um ein geisterhaftes Nachbild handelte, aber der Anblick ließ trotzdem keinen von uns kalt. Der Halken setzte Erich ab und begann wieder einmal stumm seine Gebete zu murmeln. Erich fand, dass es keine bessere Gelegenheit dafür gab. Sein Herz schlug schneller und er stellte fest, dass er sich wieder allein auf den Beinen halten und halbwegs sicher gehen konnte. Am liebsten wäre er auf der Stelle weggelaufen.
Denn das was wir sahen, war eine Armee, die sich zu ihrer letzten Schlacht sammelte. Es gab keinen unter den Männern, der nicht irgendwo verwundet war, oder von seinen Kameraden gestützt werden musste. Bei genauerem Hinsehen bemerkte ich überrascht, dass nicht nur Lebende in den sich sammelnden Reihen waren. In der vordersten Front, dort wo Männer mit schweren Schilden standen, wurde jeder zweite Platz von einem Toten eingenommen, der schlaff aber aufrecht zwischen seinen Kameraden hing. Die verbeulten Schilde waren an ihren Rändern mit Haken miteinander verbunden, so dass sie einen einzigen durchgehenden Wall bildeten. Auch weiter hinten füllten Leichname die Reihen der Kämpfer auf. Sie waren an Holzpflöcke gebunden, damit sie nicht hinfielen und die meisten trugen noch immer Schild und Bewaffnung.
„ Das sind ja Tote. Warum?“, wisperte Erich, der die Leichen ebenfalls entdeckt hatte.
Keiner antwortete darauf, aber ich war mir sicher, dass wir den Grund für dieses makabre Verhalten bald sehen würden.
Als sich die Armee vollständig formiert hatte, wurde klar, dass die Männer neben ihrer Hoffnung auch ihren Anführer verloren hatte. Da war niemand, der die Front abritt oder die Männer mit einer letzten Rede anfeuerte. Wo Gruppenführer und andere Befehlshaber an den Abzeichen auf ihrer Rüstung zu erkennen waren, hatten sie sich wie die gewöhnlichen Soldaten und die Toten in die Formation eingereiht. Schweigend erwarteten sie den Tod im Kampf.
Wenn der Nebel sich für kurze Momente lichtete, war in einiger Entfernung ein zweites Heer zu erahnen, das anders als dieses hier vor uns noch über eine nennenswerte Kavallerie verfügte. Drüben sah man Wimpel an Lanzen flattern, hier hatte man tote und todgeweihte Reiter auf ihren Sätteln festgebunden. Es war nicht schwer zu erraten, zu wessen Gunsten diese Schlacht ausgehen würde. Die Verteidiger schienen nicht damit zu rechnen gewinnen zu können. Sie wollten ihren Gegnern nur noch so viel Schmerz wie möglich zufügen. In den Gesichtern der Männer stand eine Entschlossenheit, die nur das Fehlen sämtlicher Illusionen hervorbringen kann.
Sarn und die anderen
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