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Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Titel: Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Keller
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fand, aber Erich erregte besonderes Interesse. Keiner schien mit ihm gerechnet zu haben und ich begann mir Sorgen zu machen. Wo waren seine Eltern? Wo waren seine Verwandten, die ihn eigentlich hätten empfangen sollen? Warum war Chulak so abweisend? Auf diese Situation hatte mich niemand vorbereitet. Auch nicht darauf, dass sich keiner meiner Brüder hier für mich zu interessieren schien. Ich konnte den einen oder anderen Horndämon sehen, der sich für alle sichtbar gemacht hatte, aber keiner von ihnen beachtete mich. Auch zu meiner Begrüßung war niemand da.
    Je näher wir dem Geburtshaus der Menschen kamen, desto unruhiger wurde ich, denn mehr und mehr wurde mir klar, dass Erichs Rückkehr anders war als die der anderen Kinder. Er hatte sich nicht angekündigt und niemand hatte ihn erwartet. Irgend etwas stimmte nicht.
    "Hat er dir schon einen Namen gegeben?", fragte mich der narbengesichtige Priester und zischte als ich nicht gleich etwas sagte: "Antworte!"
    " Ja, Herr, er hat mich Icher genannt. "
    Der Priester legte die Stirn in Falten und seufzte schließlich.
    "So sei es denn.", murmelte er und wandte sich in Gedanken versinkend ab. Die Gefährten des Priesters warfen ihm für mich undeutbare Blicke zu. Sie schienen nicht viel von ihm zu halten.
    Das alles verwirrte mich und ich hätte am liebsten bei meiner eigenen Art um Rat gefragt, aber es zeigte sich kein weiterer Dämon in meiner Nähe.
    Das Geburtshaus der Menschen war im Grund ein großer Saal, den man mit verschiedenen kleineren Kammern, Räumen und Gängen umgeben hatte. So vielfältig wie die Stämme der Menschen waren, so vielfältig waren auch die Stile in dem Bauwerk, das sie repräsentierte. Es gab mit Fellen behängte Wände und kunstvoll gestickte Teppiche, Tische aus den Knochen gewaltiger Tiere und verspielte Arbeiten aus feinem Holz und vergoldetem Metall und alle Arten von Kunstgegenständen. Allein der zentrale Saal war vollkommen schmucklos. Schräg stehende Säulen aus dunklem Holz trugen das hohe Dach und stützen auch einen durchbrochenen Baldachin, durch den das Licht von oben, gefiltert vom Laub der Apelbäume auf einen Gegenstand fiel, der auf einem Sockel an der Stirnseite des Saales lag. Es war ein aufgeschlagenes Buch mit leeren Seiten.
    Bevor Erich die Gelegenheit hatte, das alles eingehender zu betrachten, wurde er von Chulak in einen Nebenraum geführt, der dafür eingerichtet war, dass Gäste darin warteten.
    „Bern wird dich in Kürze empfangen. Wasch dich und zieh die frischen Kleider dort an. Du hast einigen Leuten ziemliche Ungelegenheiten bereitet, als Du mit Deinem Dämonen so plötzlich im Sumpf aufgetaucht bist.“, sagte Chulak mit seinem kehligen Akzent, den er aus der Steppe der Barbaren mitgebracht hatte.
    Erich schnitt eine entschuldigende Grimasse und wusste offensichtlich nicht, ob er etwas darauf erwidern sollte und wenn ja, was. So sagte er das, was ihm gerade einfiel und brachte den breitschultrigen Krieger damit ziemlich aus der Fassung:
    „Wie lange werde ich warten müssen? Ich muss nämlich mal ganz dringend!“
     
    Bern war der Anführer der Menschen und Vorsitzender des Blauen Rates: ein drahtiger Mann um die fünfzig, dessen Haar so hell war, dass man nicht sagen konnte, ob es erst im Alter so geworden war, oder schon immer diese Farbe gehabt hatte. Seine scharf geschnittene Nase passte zu den blauen Augen, die wie Spinnen in einem Netz aus Falten lagen. Er war in ein Gewand gehüllt, das sich aus kompliziert geflochtenen, rotgegerbten Lederbändern zusammensetzte. In seiner Hand hielt er einen Apfel, von dem er von Zeit zu Zeit ein Stück abbiss. Sein Horndämon überragte ihn um mehrere Köpfe und stand regungslos neben seinem Herrn. Er starrte meinen Gebieter unverwandt an und reagierte nicht auf meine zögerlichen Versuche mit ihm zu sprechen. Er passte zu Bern, denn von seiner schwarzen Gestalt stiegen rote Bänder aus trägem Rauch auf, um sich wie Schlangen um seinen durchscheinenden Körper zu winden. Über seinem Haupt bildeten sie einen schwach glühenden Ring, in dem unablässig Zeichen des magischen Gefüges auftauchten und wieder verschwanden. Erich wirkte in seiner neuen Kleidung klein und verloren, denn sie war ihm etwas zu groß. Und weil er in den Schuhen nicht laufen konnte, war er barfuß zu dieser Audienz erschienen.
    „ Du bist der erste unangekündigte Hürnin seit vielen Jahren. Sehr vielen Jahren.“, sagte Bern nachdenklich, nachdem er vorgestellt worden war. „Es

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