Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
„Ich erwarte meine Angst. Ich werde meiner Angst nicht nachschauen. Die Angst hat keine Macht über mich.“
„Ich erwarte meine Angst. Ich werde ihr nicht nachschauen. Sie hat keine Macht über mich.“
Erich hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als der Halken ihn aus voller Kehle anbrüllte. Mein Herr zuckte zusammen, aber diesmal war seine Reaktion völlig unerwartet. Seine rechte Hand schoss hoch und er klatschte dem Ork eine Ohrfeige auf die Backe.
„Das wollte ich nicht.“, sagte er von sich selbst überrascht aber der Halken lachte nur.
„ Nein, nein. Gut gemacht. Du hast die Angst angeschaut. Sie hat dir den Weg gezeigt. Genug für heute.“ Er klopfte Erich auf die Schulter und stieg dann wieder die Leiter hinunter. Bevor sein Kopf durch die Luke verschwand, hielt er noch einmal inne und sagte: „Die Ahnen möchten, dass du deine Angst nutzt. Sie ist dein Schild. Und dein Mut ist deine Waffe.“
„ Angst wird mich durchdringen und mir damit den Weg zeigen.“, wiederholte Erich den Spruch, den er gelernt hatte mit immer noch ziemlich wackeligen Knien. „Wenn ich nicht die Augen vor ihr verschließe. Ich erwarte meine Angst. Ich werde ihr nicht nachblicken. Sie hat keine Macht über mich.“
Er hörte wie sich Sarn und der Halken eine Weile leise miteinander unterhielten, konnte aber nicht verstehen, was sie sagten. Er wiederholte das Gebet gegen die Angst noch ein paar mal, aber je öfter er es sagte, desto deutlicher wurde ihm bewusst, dass er dennoch Angst hatte. Er hatte Angst davor in die Welt der Dämonen zurückzukehren um seine Eltern zu finden oder sie vielleicht auch nicht zu finden. Er hatte Angst davor herauszubekommen, wer er wirklich war und was das Schicksal für ihn bereit hielt. Und dagegen half kein Gebet und kein Zauber der Welt.
Erich hatte eine letzte Vision, bevor wir gewaltsam getrennt wurden. Er fand sich inmitten eines Kampfes wieder, in dem die Soldaten des Scharif einigen glatzköpfigen bartlosen Männern mit wohlgenährten Gesichtern gegenüberstanden. Die Männer waren in weite Gewänder gekleidet und unbewaffnet. Dennoch beeilte sich der Kommandant des Scharif seine Soldaten auf einer Mauer in Stellung zu bringen, die das kleine Fort umgab, das er zu verteidigen hatte. Die Angreifer, wenn man sie überhaupt so bezeichnen konnte, blieben einer nach dem anderen am Fuß der Mauer stehen und blickten lächelnd zu den Männern auf der Mauerkrone hinauf. Diese standen mit gespannten Bögen bereit, doch ihr Anführer gab ihnen mehrmals den Befehl nicht zu schießen. Aber als einer der Glatzköpfigen begann die Mauer hochzuklettern, wurde die Anspannung für einen der Bogenschützen zu viel und die Sehne seines Bogens entglitt seinen schweißnassen Fingern. Erich konnte sehen, wie der Pfeil sich durch die Luft schlängelte und den Glatzköpfigen zwischen Hals und Schlüsselbein traf. Wie ein nasser Sack stürzte er zu Boden und rang Blut spuckend nach Luft. Doch gleichzeitig lächelte er. Er lächelte noch immer während der Kommandant der Wachen zu dem Schützen eilte und ihm den Bogen aus der Hand riss. Wild mit den Armen rudernd rief er Befehle, die Erich nicht verstehen konnte. Er sah nur, dass seine Männer sich zurückzogen und so schnell sie konnten versuchten von der Mauer weg zu kommen. Erich sah, wie einer der Soldaten in wilder Panik drei Meter in die Tiefe sprang und sein linkes Knie umklammernd liegen blieb, dann legte sich ein Schatten über die Mauer. Als Erich den Blick wandte, sah er einen Schleier aus Blut, der sich vor die Sonne geschoben hatte. Er überragte die Mauer und gewann mit jeder Sekunde weiter an Höhe. In alptraumhafter Geschwindigkeit knickte der Blutvorhang ein und wickelte sich um die Mauerkrone und alle, die das Pech hatten sich noch auf ihr zu befinden. Erich wurde die Sicht genommen und er hörte in seinem Inneren das Brechen von Knochen. Dann durchstieß sein Kopf das Blut und er sah den Boden auf sich zukommen. Mit einem Getöse, das er mehr spürte als hörte, stürzte die Mauer nach außen und schleuderte Erich im Körper der Knochenfrucht einige Meter durch die Luft. So sehr er sich auch anstrengte, er konnte die Knochenfrucht nicht mehr auf die Beine bekommen. Mit den Armen warf er sie herum, um zu sehen, was im Fort vor sich ging: Die bleichen dicken Männer, die sich vor der Mauer eingefunden hatten, lagen nun leblos und blutleer unter Mauertrümmern halb begraben und etwas, das nicht eindeutig zu erkennen war, breitete sich im
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