Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
unterwegs, bis wir schließlich auf die Reste einer Straße stießen, die aber so von Kratern durchlöchert war, dass man sie kaum noch als Straße erkennen konnte. Trotzdem war es nicht schwer ihr zu folgen und wir gewannen rasch an Höhe. In weiten Serpentinen schraubte sich der Weg dem Gipfel der Insel entgegen, passierte zerstörte Wehrmauern, ein schmales Plateau, das einen natürlichen Hafen mit zertrümmerten Kaimauern überblickte und wir gelangten bald in einen Bereich, in dem die Beschädigungen abrupt endeten. Wie mit einem Lineal abgegrenzt hörten die Löcher im Boden und in den Felsen ringsum auf. In den Stein gemeißelte Schriftzeichen bedeckten von nun an in regelmäßigen Abständen die Straße. Dann folgten unregelmäßig geformte Kristalle, die mich an jene zum Eingang nach Drachall erinnerten und schließlich das erste Tor.
Wir bogen um eine Ecke und da war es, starrte uns förmlich an. Geformt wie ein gewaltiges, geöffnetes Maul, bewegte sich irgend etwas dort, wo die Augen sein sollten im Wind: Es waren zwei Köpfe von Hürnin, ein männlicher und ein weiblicher. Es war schwer zu sagen aus welchem Material diese Köpfe waren, denn die Hornplatten waren mit Moos bewachsen und die Haare zu verfilzten Bündeln verklebt. Ihre Augen und Münder waren verschlossen. Aber ihre Haare flatterten in der Brise und aus ihren Mündern drang dünner Rauch. Ich hoffte, dass es sich um raffinierte Nachahmungen und nicht um echte Köpfe handelte.
Vorsichtig durchquerten wir das Tor, das weder Torflügel noch ein Fallgitter besaß und auch nie dafür vorgesehen gewesen zu sein schien und stießen auf eine Treppe, die steil nach oben führte. Die Stufen waren von etwas bedeckt, das auf den ersten Blick aussah wie Steine, aber als ich mich bückte, um einen der kleinen Gegenstände genauer zu betrachten, sah ich, dass es sich um Steinmesser handelte, die aussahen wie das, welches die Hürnin für ihr jährliches Blutopfer verwendeten. Viele von ihnen waren zerbrochen, aber die meisten waren noch völlig in Ordnung. Warum man sie hier zurückgelassen hatte, war nicht zu erkennen, aber es schien mir wie eine Warnung davor weiterzugehen.
Wir erklommen die Treppe und sahen, wie sich der Weg vor uns in zwei kurze Tunnel aufspaltete, um die schmale Spitze der Insel von beiden Seiten zu umrunden. Direkt über uns ragte ein dunkler Turm voller Schießscharten auf, der die Treppe und das Tor bewachte. Irgend etwas an der Form des Turms kam mir seltsam vor. Seine Basis schob sich wie der Bug eines Schiffes nach vorn und schloss die beiden kurzen Tunnel zu beiden Seiten mit einem Wulst ein. Nach oben verjüngte er sich zusehends, hatte jedoch immer einen deutlichen Grat, der nach vorne zeigte.
„ Augen und Ohren noch. “, mumelte der Halken. „ Dann sind wir da. “
Ich blickte erneut hoch zum Turm und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Der Turm hatte das Aussehen einer gewaltigen Nase und die beiden Tunnel stellten die Nasenlöcher dar. Ich hatte es aus der Luft gesehen. Sobald wir das Plateau erreichten würden wir auch noch zwei Türme finden, deren Spitzen aussahen wie Augen.
Ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren, schlug der Halken die rechte Abzweigung ein. Es machte Sinn. Sollten wir angegriffen werden, würde er mit der rechten Hand genügend Platz haben, um mit seiner Schlangenpeitsche auszuholen. Aber wir blieben unbehelligt.
Der Tunnel war so kurz, dass wir schon nach wenigen Schritten sein Ende sehen konnten und danach ging der Weg in gewohnter Weise weiter. In einem sanften Bogen der Krümmung der Bergflanke folgend führte er uns weiter nach oben. Noch immer waren öfters Kristalle in den Boden eingelassen, aber viele von ihnen waren mit der Zeit gesprungen oder ganz aus ihren Halterungen gebrochen. Wie klares Eis lagen ihre Reste auf der Straße. Kalter, böiger Wind wehte uns entgegen, fing sich in den Felsspalten und spielte auf ihnen wie auf einer verstimmten Flöte. Und über allem stand drohend das blutrote Firmament.
Der Weg führte uns weiter und wir gelangten zu einem Ohr aus Stein. Es war sorgfältig aus einem Felsvorsprung herausgehauen und hatte abgesehen von seiner Größe nichts Ungewöhnliches an sich. Wir schritten hindurch und fanden uns nicht weit vom zentralen Plateau wieder. Fast nahtlos gingen die Felsen in sorgfältig übereinander geschichtete Steine über, die mit schwarzem Mörtel verbunden waren. Während wir weiter aufstiegen entdeckten wir über uns
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