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Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Titel: Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Keller
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den Hals oder an ihrer Kleidung trugen. Er konnte inzwischen auch mit einem Blick auf die Kleidung sagen, welchem Volk und welchem Berufsstand sich ein Hürnin zugehörig fühlte. Aber da war noch so viel mehr was zu ihm zu sprechen versuchte und das er nicht verstand. An manchen Haustüren waren Zeichen angebracht, andere Hürnin wanden sich Perlen oder farbige Fäden ins Haar und auch wenn einiges davon nur zum Schmuck dienen sollte, war sich Erich sicher, dass das alles zumindest vor langer Zeit einmal eine ganz bestimmte Bedeutung gehabt hatte.
    Wie Erich lebte der größte Teil der Bevölkerung der unterirdischen Stadt in Höhlen, die in den Fels geschlagen worden waren. Diese Sitte stammte noch aus der Zeit, in der das erste Hornhus zerstört worden war. Wer fliehen konnte, hatte sich in die Berge abgesetzt und sich dort in Gängen und Klüften versteckt. Es war eine Zeit gewesen in der sich die Talente und das Wissen der Zwerge als äußerst nützlich erwiesen hatten. Erich wusste von seinen Spaziergängen durch die Stadt auch, dass tief unten in den Katakomben die Toten lagen, bzw. das, was von ihnen noch übrig war, denn mindestens einmal im Jahr stieg der Grundwasserspiegel und die in die Katakomben drängenden Fluten nahmen mit sich, was nicht niet- und nagelfest war. Manche von Sarns Geschichten erzählten sogar davon, dass das Wasser oder der Berg selbst die Toten verzehrten.
    Einige Monate nachdem Sarn ihn zu sich genommen hatte, und er ein vollwertiger Hürnin geworden war, erlaubte ihm Sarn endlich sich mehr oder weniger frei in der Stadt zu bewegen, wenn er nichts zu erledigen hatte. Mehr oder weniger, weil er schnell merkte, dass in den dichter besiedelten Bereichen noch immer alle Gespräche verstummten, sobald er auftauchte und so führten ihn seine Streifzüge ob bewusst oder unbewusst immer tiefer in die morschen Gebeine von Hornhus hinab, bis er sich hauptsächlich in den Katakomben aufhielt, wenn er nichts zu tun hatte.
    Natürlich war er dabei nicht allein, denn ohne Führung war es unmöglich, sich dort unten zurechtzufinden. Brogu, der Lehrling der Bestatterin Beatrix war ständig bei ihm, seit sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Er verstand sich gut mit ihm, denn auch er kannte sich damit aus, wie es war, wenn man von den anderen gemieden wurde. Und auch er hatte keine Eltern mehr. Sie waren vor Beatrix die Bestatter in Hornhus gewesen und einer der vielen Krankheiten zum Opfer gefallen, die man sich hier unten zuziehen konnte. Neben Kern, den Erich immer noch regelmäßig besuchte, und natürlich Sarn war Brogu sein einziger Gesprächspartner. Der schlacksige Junge mit seinen unordentlichen Locken und manchmal recht unkoordinierten Bewegungen hatte eine schräge Art von Humor, die vieles nicht mehr so düster erscheinen ließ, wie es war.
    „Die Gewölbe haben vier, an manchen Stellen fünf Stockwerke. Vielleicht auch noch mehr, aber das Wasser stand schon lange nicht mehr tief genug, um ganz nach unten steigen zu können. Einer der Toten muss einen ganz schönen Dickschädel gehabt haben, der alles verstopft hat.“
    „ Warum bringt man die Toten hier her?“, wollte Erich wissen.
    „ Das ist die beste Lösung, wenn man sie nicht aufessen will. Sie vor der Stadt zu begraben, würde Spuren hinterlassen, in der Stadt selbst einen Platz zu finden, der groß genug ist, um sie alle aufzunehmen ist unmöglich und sie zu verbrennen geht nur, wenn man in Kauf nimmt, eine Menge Rauch zu erzeugen und noch dazu ewig Brennholz suchen will. Man könnte sie den wilden Tieren zum Fraß vorwerfen, aber auch das hinterlässt Spuren.“
    „ Gibt es denn hier unten Aasfresser?“, fragte Erich.
    „ Oh ja, die gibt es! Würmer, Käfer, Tausendfüßler aller Art und noch ein paar Kreaturen, denen man besser nicht allein begegnet. Die meisten überlassen ihre Toten diesen Viechern nur ungern und ich kann es ihnen nicht verdenken. Es ist kein besonders würdevolles Ende von Käfern gefressen zu werden. Zumal man sich nicht an ihnen rächen kann, sie schmecken nämlich zum kotzen.“
    Erich zuckte mit den Schultern. „Was ist schon ein würdevolles Ende? Wenn man tot ist, ist man tot …“
    „Lass das bloß nicht den Rat hören, die wählen dich glatt zu ihrem Vorsitzenden!“, sagte Brogu lachend. „Ach übrigens: Wenn du stirbst, dann bitte ohne vorher Blähkraut gegessen zu haben. Das verträgt sich gar nicht mit der Würde.“
    Sie gingen lachend einige Schritte in die Katakomben hinein, bis

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