Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
geraten hast.«
»Weißt du es denn besser?«, fragte Murida spitz. Sharif sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, aber er setzte das sinnlose Wortgeplänkel nicht fort, sondern deutete auf den palastähnlichen Bau auf der anderen Seite des Platzes. »Delany und sein Freund begleiten dich dorthin. Ruh dich aus, bis wir die Vorräte zusammenhaben. Für den Rest des Tages legen wir keine Rast mehr ein, und wir können auch keine Rücksicht auf dich nehmen.«
»Dann lasst mich doch hier«, schlug Murida vor. »Ich gebe dir mein Wort, hier zu warten, bis du zurück bist.« Sharif gab Andrej nur einen unwilligen Wink und drehte sich dann zu einem seiner Janitscharen um, um seine schlechte Laune an ihm auszulassen. Abu Dun genehmigte sich nicht nur ein weiteres hellgrünes Blatt, sondern hielt den Beutel auch Murida hin, die zwar zögerte, dann aber fast hastig Zugriff und sich bediente. »Dann geht voraus, holde Dame«, sagte Abu Dun spöttisch. »Eure unwürdigen Diener folgen Euch wie die Schatten.«
In Ermangelung einer anderen Zielscheibe versuchte Murida nun, ihn mit Blicken aufzuspießen, was das Feixen des Nubiers aber nur noch breiter werden ließ. Schließlich ging sie los, und Abu Dun fuhr in einer anderen Sprache an Andrej gewandt fort: »Hast du mich hinter meinem Rücken an Sharif verkauft, oder wie kommt er auf die Idee, mich herumkommandieren zu können?«
»Sharif ist es gewohnt zu befehlen, statt zu bitten«, sagte Murida, bevor Andrej antworten konnte – was er im Übrigen auch gar nicht vorgehabt hatte. Beinahe hätte er gelächelt, doch als er Abu Duns erstauntes Gesicht sah, ging ihm auf, dass der Nubier Deutsch gesprochen hatte, eine Sprache, die in diesem Teil der Welt nun wirklich nicht weit verbreitet war. »Wie kommt es, dass du Deutsch sprichst?«, fragte er. Murida sah spöttisch über die Schulter zu ihm zurück. »Tue ich das?«, fragte sie. Auf Deutsch und mit einem leichten hessischen Akzent.
»Ganz eindeutig«, sagte Abu Dun auf Portugiesisch. »An Süleymans Hof werden eine Menge Sprachen gesprochen«, erwiderte Murida, nun wieder in ihrer Muttersprache. »Und ich bin eine aufmerksame Zuhörerin.«
»Deutsch ist eine sehr komplizierte Sprache«, sagte Abu Dun.
»Und ich bin ein sehr kluges Mädchen«, stichelte Murida. »Und soo unglaublich schwer ist es nun auch wieder nicht. Schließlich sprichst du es auch.« Abu Dun machte ein beleidigtes Gesicht. Andrej musste lächeln, aber er war verwirrt. Abu Dun hatte recht: Deutsch war vielleicht nicht die komplizierteste Sprache, die im fernen Europa gesprochen wurde, aber es war auch ganz gewiss nicht durch bloßes Zuhören zu erlernen. Schon gar nicht in solcher Perfektion. Als sie schließlich das Gebäude erreicht hatten, sah Andrej den ersten Eindruck, den er von Weitem gewonnen hatte, nicht bestätigt. Vor langer Zeit einmal mochte es so etwas wie ein Palast gewesen sein, jetzt aber war es kaum mehr als eine Ruine und verlassen dazu. Vor den einst prachtvollen Fenstern waren hölzerne Läden anbracht worden, und von den Wänden bröckelte der Putz. Die mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Tür war von Wind und Sand nahezu glatt geschliffen und hing so verzogen in ihren geschmiedeten Angeln, dass Abu Dun so tat, als musste ersieh anstrengen, um sie aufzuschieben. Ein Schwall trockener und leicht nach Moder riechender Luft schlug ihnen entgegen, als sie eintraten. Es war so dunkel, dass man wenig mehr als Schatten erkennen konnte, doch die hallenden Echos verrieten auch, dass es ohnehin nicht viel zu sehen gegeben hätte.
»Wartet hier«, sagte Abu Dun, plötzlich in ganz und gar nicht mehr amüsiertem Ton. »Ich sehe mich um.« Damit verschmolz er mit der Dunkelheit vor ihnen, während Andrej Murida unauffällig, aber auch sehr aufmerksam im Auge behielt. Wenn ihr auffiel, dass sich der nubische Riese mit einer für einen Mann seiner Größe eigentlich unmöglichen Leichtigkeit bewegte, dann ließ sie es sich zumindest nicht anmerken.
»Du bist wirklich immer für eine Überraschung gut«, sagte er und kam sich selbst ein wenig albern dabei vor. »Ist das nicht die Aufgabe von uns Frauen?«, fragte Murida. »Euch Männer immer wieder neu zu überraschen, meine ich?«
Andrej blieb ernst. Er wollte es nicht, aber sein Misstrauen war geweckt. Es war ihm unmöglich, das beharrliche Flüstern seiner inneren Stimme zu ignorieren. Dass diese Frau ihnen etwas verheimlichte, war ihm schon lange klar, doch nun fragte er sich, ob
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