Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
Wien in den Boden gestampft hatte. Aber das behielt er lieber für sich. »Es gibt Gründe, aus denen es mir lieber wäre, wenn ihr diesen Auftrag erfüllt«, antwortete Süleyman. Er lächelte immer noch, aber in seiner Stimme war nun auch eine ganz sachte Spur von Ungeduld zu hören. Andrej konnte sich auch gut vorstellen, wie diese Gründe aussahen. Süleyman mochte der mächtigste Mann der Welt sein, aber spätestens seit seiner Niederlage vor Wien war diese Macht nicht mehr unangefochten, das bewies allein schon die Existenz eines Mannes wie des Machdi und seiner Anhängerschaft. Wenn das, was ihnen der Gastwirt am Morgen über den Machdi erzählt hatte, stimmte, dann kam es bei seinen Untertanen vielleicht nicht besonders gut an, wenn er diesen Mann von seinen eigenen Soldaten ermorden ließ, vor allem dann nicht, wenn die Sache möglicherweise schiefging und der Machdi überlebte.
Da war es eindeutig besser, diese Schmutzarbeit zwei Fremden zu überlassen, von denen einer noch dazu ein Ungläubiger war. »Wir sind keine Mörder«, sagte er.
»Und ich kein Mann, der einen Mordauftrag erteilt«, erwiderte Süleyman. Er klang verletzt. »Ich bezweifle nur, dass es euch gelingt, diesen Mann lebend zu fangen.«
»Wieso?«
»Weil er ein Geist ist«, antwortete Sharif an Süleymans Stelle. »Kaum jemand hat ihn jemals gesehen, und die wenigen, die von sich behaupten, ihm begegnet zu sein, sagen, es wäre unmöglich, ihn zu töten.«
»Und was bringt Euch dann auf die Idee, dass wir es könnten?«, wollte Abu Dun wissen.
»Wie ich schon gesagt habe«, antwortete Süleyman an Sharifs Stelle. »Wir wissen, was ihr seid.«
»Und was genau meint Ihr, dass wir sind, Sultan?«, fragte Andrej vorsichtig.
»Ungläubige«, antwortete Süleyman. »Söldner. Männer des Schwertes, die nicht nur ihre Waffen an jeden vermieten, der nur genug bezahlt, sondern auch ihr Gewissen. Aber auch, dass ihr noch nie einen Kampf verloren habt und es nichts gibt, wovor ihr Angst habt.
Manche behaupten es jedenfalls.«
»Und was behaupten sie noch?«
»Vieles, und das meiste davon ist Unsinn«, antwortete der Sultan mit einem neuerlichen knappen Lächeln. »Dass ihr älter seid als die Zeit. Dass es unmöglich ist, euch zu töten.
Und dass ihr die Seelen von Menschen fresst. Manche halten euch für Boten des Teufels, und andere für Abgesandte Gottes.«
»Und wer behauptet so etwas?«, fragte Abu Dun.
»Nehmt einfach einmal an, dieser Machdi existiert wirklich«, sagte Süleyman, statt Abu Duns Frage zu beantworten. »Und nehmt weiter an, es ist wahr, was die Menschen über ihn sagen, dass er jeden in seinen Bann ziehen kann und dass es unmöglich ist, ihn zu töten, dann hätte ich wohl keine Chance gegen ihn, trotz all meiner Soldaten und all meiner Macht. Wollt ihr einen Mann wie den Machdi an meiner Stelle sehen? Wisst ihr, was dann mit den Menschen hier geschähe? Mit der ganzen Welt? Nichts anderes als jetzt, hätte Andrej um ein Haar geantwortet, schluckte die Worte aber im letzten Moment hinunter.
Sie wären nicht wahr gewesen. Süleyman hatte die Welt mit Krieg überzogen und den größten Sturm von Gewalt und Unterdrückung entfesselt, der seit mehr als einem Jahrhundert über das Abendland hereingebrochen war. An seinen Händen klebte mehr Blut als an denen irgendeines anderen lebenden Menschen, und er würde nicht aufhören, trotz der vernichtenden Niederlage, die sein Heer vor Wien hatte erleiden müssen. Seine Generäle stellten bereits neue Armeen auf. Europa hatte bestenfalls eine Atempause gewonnen. Und dennoch.
Süleyman war vermutlich das kleinere Übel. Er war alles andere als ein militärisches Genie, und oft genug hatte er die Empfehlungen seiner Generäle in den Wind geschlagen (und auch dem einen oder anderen von ihnen bei dieser Gelegenheit den Kopf von den Schultern) und seine eigenen Pläne umgesetzt, was während seiner gesamten Regentschaft zu einer Abfolge stets größer werdender militärischer Katastrophen geführt hatte, die schließlich in seiner Niederlage vor Wien gipfelte. Aber vielleicht war ja nicht Süleyman das Problem, sondern der Machdi. Was diesen selbst ernannten Propheten anging, so hatte Andrej ein ungutes Gefühl. Was, wenn er nun auch ein Unsterblicher war- und zwar einer von der machtgierigen und vollkommen rücksichtslosen Sorte, für die ein Menschenleben nicht zählte? Ein Mann mit jahrhundertelanger Erfahrung, vielleicht sogar jahrtausendelanger, und ohne jegliches
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